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Titan 11

Titan 11

Titel: Titan 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova , Wolfgang Jeschke
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Nicht als einen lebenden, atmenden Menschen. Er wußte es nun mit Bestimmtheit. Die Menschen von Klephs Rasse waren Zuschauer.
    Doch er las nun mit mehr als nur beiläufigem Interesse in Cenbes Augen. Eine Faszination an neuen Eindrücken, eine Gier auf neue Erfahrung lag darin. Er hatte seine Kopfhörer wieder aufgesetzt. Ja, er unterschied sich von den anderen. Er war ein Kenner. Auf das große Erlebnis folgte das Nachspiel – und Cenbe.
    Cenbe wartete und beobachtete, während das Licht des transparenten Tisches vor ihm flackerte und seine Finger über das Notizbuch huschten. Der wirkliche Feinschmecker wartete, um die Raritäten zu genießen, die ein Vielfraß nicht würdigen kann.
    Diese dünnen, fernen Rhythmen, Musik und doch keine Musik, begannen wieder im Lärm des fernen Feuers hörbar zu werden. Als er lauschte und seine Erinnerungen schweifen ließ, konnte Oliver sich die Muster der Symphonie wieder vorstellen, wie er sie gehört hatte, wie sie sich mit dem Aufleuchten der Gesichter und den Reihen um Reihen von Sterbenden vermischte…
    Er legte sich auf das Bett zurück und ließ das Zimmer in der Dunkelheit hinter seinen geschlossenen, schmerzenden Lidern erlöschen. Der Schmerz saß in jeder einzelnen Zelle seines Körpers, war fast ein zweites Ich, das Besitz von ihm ergriff und ihn aus seinem eigenen Körper trieb, ein starkes, selbstsicheres Ego, das den Körper übernahm, während er sich ihm hingab.
    Warum, fragte er sich benommen, hätte Kleph lügen sollen? Sie hatte gesagt, daß das Getränk, was sie ihm gegeben hatte, keine Nachwirkungen zeigte – und doch war diese schmerzhafte Besessenheit stark genug, ihn bis an die Grenzen seines Körpers zu treiben.
    Kleph hatte nicht gelogen. Es war keine Nachwirkung des Getränks. Er wußte es, doch dieses Wissen berührte nun weder seinen Körper noch seinen Verstand. Still lag er da, sich der Macht der Krankheit hingebend, die die Nachwirkung von etwas wesentlich stärkerem war, als es das stärkste Getränk sein konnte. Diese Krankheit hatte keinen Namen – noch nicht.
    Cenbes neue Symphonie war ein krönender Triumph. Die Uraufführung fand in der Antares‐Halle statt, und der Applaus war eine Ovation. Natürlich war die Historie selbst der Künstler – beginnend mit dem Meteor, der die großen Seuchen des vierzehnten Jahrhunderts hervorrief, und endend mit dem Höhepunkt, den Cenbe an der Schwelle der modernen Zeiten eingefangen hatte.
    Doch nur Cenbe war imstande, sie mit solch einer subtilen Kraft zu interpretieren.
    Die Kritiker sprachen von der meisterhaften Art, mit der er das Gesicht des Stuartkönigs als immer wiederkehrendes Motiv gegen die Montage der Emotion, des Tons und der Bewegung gesetzt hatte. Doch es gab noch andere Gesichter, die die große Steigerung der Komposition durchliefen, die dazu beitrug, den gewaltigen Höhepunkt zu errichten. Ein Gesicht erregte besondere Aufmerksamkeit, ein Moment, in dem die Zuschauer völlig mitgerissen wurden. Ein Moment, in dem das Gesicht eines Mannes groß auf dem Schirm erschien, jeder Gesichtszug klar und deutlich. Nie zuvor hatte Cenbe eine emotionale Krise so effektvoll eingefangen – alle Kritiker stimmten darin überein. Man konnte beinahe in den Augen des Mannes lesen.
    Nachdem Cenbe gegangen war, lag er lange Zeit bewegungslos da. Fieberhaft dachte er…
    Ich muß einen Weg finden, wie ich es den Menschen berichten kann. Hätte ich es schon vorher gewußt, hätte vielleicht noch etwas geändert werden können. Wir könnten sie zwingen, uns zu berichten, wie man die Ströme der Wahrscheinlichkeit verändern kann. Wir könnten die Stadt evakuieren.
    Wenn ich nur eine Botschaft hinterlassen könnte…
    Vielleicht nicht für die Menschen von heute. Doch für später. Sie veranstalten Zeitreisen in alle Epochen. Wenn man sie erkennen und irgendwie einfangen könnte, irgendwann, und sie dazu zwingen, die Wege des Schicksals zu ändern…
    Das Aufstehen fiel ihm nicht leicht. Der Raum schwankte haltlos. Doch er schaffte es. Er fand Stift und Papier, und durch die Wellen der Schatten schrieb er nieder, was er nur konnte. Es war genug. Genug um zu warnen, genug um zu retten.
    Er legte die Blätter auf den Tisch, wo sie gut gesehen werden konnten, und beschwerte sie, bevor er durch die ihn einhüllende Dunkelheit zurück zu seinem Bett wankte.
    Sechs Tage später wurde das Haus in dem vergeblichem Versuch, dem Vordringen des Blauen Todes Einhalt zu gebieten, in die Luft gesprengt.
     

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