Titan 11
du weißt nicht genau, wo der Wert dieser Beziehung liegt.« Er blickte auf. »Beschreibt das dein größtes Problem?«
»Ungefähr.« »Weißt du, warum die Menschen einzig und allein töten?« Als ich nicht antwortete, fuhr er fort: »Um des Überlebens willen. Um das Ich zu retten, oder etwas, das man als Ich identifiziert. Aber das trifft in diesem Fall nicht zu, denn wenn ihr – du und die gesamte Gruppe – bei Miß Kew bleiben würdet, hättet ihr viel größere Überlebenschanchen.« »Vielleicht hatte ich einfach keinen Grund, der gut genug war, um sie zu töten.«
»Den hattest du, weil du sie sonst nicht umgebracht hättest. Wir haben ihn nur noch nicht gefunden. Ich meine, wir haben den Grund zwar, wissen aber noch nicht, wieso er so wichtig ist. Die Antwort liegt irgendwo in dir selbst.«
»Wo?« Er stand auf und schlenderte umher. »Wir haben hier einen ziemlich lückenlosen Lebenslauf. Natürlich hat sich Einbildung mit der Realität vermischt, und über einige Abschnitte liegen keine genauen Informationen vor, aber wir haben einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Nun, ich kann es nicht genau sagen, aber die Antwort kann hinter jener Brücke liegen, die du vor einiger Zeit nicht zu überschreiten wagtest. Erinnerst du dich noch?«
Sicher, daran erinnerte ich mich. »Warum ausgerechnet dort?« fragte ich. »Warum können wir es nicht irgendwo anders versuchen?«
»Gerade deshalb, weil du so davor zurückschreckst«, erklärte er ruhig.
»Machen Sie aus einer Mücke doch keinen Elefanten«, sagte ich. Manchmal regte dieser Kerl mich gewaltig auf. »Es stört mich. Ich weiß nicht, warum, aber es stört mich.«
»Irgend etwas liegt dahinter verborgen, und du störst dich daran, also schlägt es zurück. Das, was darum kämpft, weiter im Verborgenen zu bleiben, ist das, was wir suchen. Darin liegt dein ganzes Problem.«
»Nun, ja«, sagte ich und fühlte wieder diese Schwäche und Müdigkeit und kämpfte wieder dagegen an. Aber plötzlich konnte ich sie nicht mehr zurückdrängen. »Fangen wir an.« Ich legte mich nieder.
Er ließ mich die Decke beobachten und der Stille zuhören und sagte dann: »Du bist in der Bibliothek. Du hast Miß Kew gerade erst kennengelernt, ihr unterhaltet euch, und du erzählst ihr von den anderen Kindern.«
Ich lag sehr ruhig da. Nichts geschah. Halt, ich verkrampfte mich innerlich, es ging von den Knochen aus, beherrschte meinen Körper immer mehr. Aber als es so schlimm war, wie es schlimmer nicht mehr ging, geschah immer noch nichts.
Ich hörte ihn aufstehen und durch das Zimmer zum Schreibtisch gehen. Er hantierte dort eine Weile herum, etwas klickte und summte. Plötzlich hörte ich meine eigene Stimme.
»Nun, da ist Jane, sie ist wie ich elf. Und Bonnie und Beanie sind acht, sie sind Zwillinge. Und Baby. Baby ist drei.«
Dann mein eigener Schrei…
Und Schwärze.
Ich taumelte aus der Finsternis und drosch mit den Fäusten um mich. Starke Hände packten meine Handgelenke. Sie schlugen nicht, hielten mich nur fest. Ich öffnete die Augen, und meine Wangen waren naß von Tränen. Die Thermosflasche lag auf dem Boden. Stern kniete neben mir und hielt mich fest. Ich hörte auf, gegen seinen Griff anzukämpfen.
»Was ist geschehen?«
Er ließ mich los und trat vorsichtig zurück. »Mein Gott«, sagte er atemlos, »was hast du Kräfte!«
Ich hielt meinen Kopf und stöhnte. Er warf mir ein Handtuch zu, und ich trocknete mich ab. »Wer hat mich geschlagen?«
»Ich habe unser ganzes Gespräch auf Band aufgenommen«, erklärte er. »Als du dich nicht erinnern wolltest, habe ich das Band laufen lassen und versucht, dich mit dem Klang deiner eigenen Stimme dazu zu zwingen. Das wirkt manchmal Wunder.«
»Auch diesmal«, knurrte ich. »Ich hatte das Gefühl, als wäre bei mir eine Sicherung durchgebrannt.«
»Das geschah auch. Du warst auf der Schwelle, dich an etwas zu erinnern, woran du nicht denken willst, und fielst lieber in Ohnmacht, als daß du dich daran erinnert hättest.«
»Was freut Sie daran so?«
»Das war deine letzte Verteidigung«, sagte er hart. »Noch ein Versuch, und wir haben es geschafft.«
»Moment mal. Meine letzte Verteidigung besteht darin, daß ich tot umfalle.«
»Das wirst du nicht. Du hast diese Episode zu lange in deinem Unterbewußtsein verborgen, und sie hat dir nicht geschadet.«
»Wirklich nicht?«
»Zumindest wird sie dich jetzt nicht mehr töten.«
»Woher wollen Sie das so genau wissen?«
»Du wirst es ja sehen.«
Ich
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