Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Titan 17

Titan 17

Titel: Titan 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn , Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
hell, daß es fast möglich war, die Zeitung zu lesen.
    Mrs. Smith half ihrem Gatten unbewußt bei seinen Plänen, indem sie sich früh zu Bett begab. Und tatsächlich war sie um einundzwanzig Uhr schon eingeschlafen. Das Baby schlief schon mehrere Stunden. Smith ging auf Zehenspitzen in ihr Schlafzimmer, nahm den neuen Anzug samt dem Mottenschutz und ging wieder auf Zehenspitzen zurück in das Kinderzimmer. Hier zog er sich, so schnell und leise er konnte, um. Er war erfreut darüber, wie gut ihm Jacke und Weste paßten. Auf seinem Weg zum Balkon mußte er an dem kleinen Kinderbettchen vorbei. Er hielt einen Moment lang inne, berührte sogar die kleine Hand des Mädchens. Sie war für ihn immer ein Wunder gewesen – er verstand es niemals ganz, wie es hatte passieren können, daß sie in sein Leben trat – aber in der Nacht, wenn sie schlief, war sie fast ein Mirakel. Über eine Minute lang lehnte er über dem Kinderbettchen, um sich zu vergewissern, daß sie atmete. Und die Liebe, die auf irgendeine Art zwischen ihnen ausgetauscht wurde, erinnerte an eine andere Liebe, und er dachte an seine Frau, was gewesen war, an ihre frühen Hoffnungen und Ambitionen, und wie diese Hoffnungen allmählich, eine nach der anderen, zerstoben waren, und nun, im Alter von fast fünfzig Jahren, war er immer noch ein Verkäufer von Litzen und Schnürsenkeln. Er ging leise zu ihrem Bett – sie war immer noch eine schöne Frau –, und er erkannte wie nie zuvor, was sie stets für ihn bedeutet hatte, und was sie für ihn getan hatte, und was sie in all ihren Ehejahren geopfert hatte. Und dazu kam noch, daß sie irgendwie diese kleine neue Liebe von ihm gefunden hatte, das charmante Baby aus Meißner Porzellan: Angelika.
    Er beugte sich über sie, küßte ihr Haar und ging seufzend durch die Tür auf den Balkon, wo seine Erfindung auf ihn wartete. Er setzte sich auf den Stuhl und schnallte sich an. Er war bereit den Startknopf zu drücken…
    Da begann das Baby zu heulen.
    Smith saß ganz still. Vielleicht würde die Kleine weiterschlafen. Aber sie plärrte weiter.
    Eine klare Frauenstimme drang an seine überanstrengten Ohren:
    »Robert, kannst du mal nach der Kleinen sehen? Sie hat jetzt schon zweimal geschrien, und ich bin sicher, daß sie etwas Aufmerksamkeit braucht. Ich bin so müde, und ich weiß, daß du noch angezogen bist.«
    »Ich werde nach ihr sehen, sobald ich kann«, erwiderte Smith. Er schnallte sich ab und ging ins Kinderzimmer. Er war sicher, daß Angelika Hilfe benötigte. Mit geschickten, liebevollen Händen beruhigte er sie, erzählte ihr kleine unsinnige Geschichtchen in der Hoffnung, daß sie endlich einschlafen würde. Aber sie tat es nicht. Als er ihr Kinderbettchen verließ, sagte ihm ihr leises Wimmern, daß sie zu ihm wollte. Sie setzte sich im Bett auf und im nächsten Moment stand sie auf, bereit, mit ihm zu spielen.
    Er versuchte sie zu überreden, sich wieder hinzulegen. Er sagte ihr, daß Papa eine fliegende Maschine baute, und wenn sie ein braves Mädchen wäre, würde er sie eines Tages wie ein Vogel darin mitfliegen lassen. Er hatte ihr dieses Versprechen schon vorher gegeben, und es hatte sie immer zum Schlafen veranlaßt, aber diesmal schien es sie nur aufgeregter zu machen.
    »Angie flieg Vögelchen«, bettelte sie.
    Seufzend nahm Robert Smith seine Tochter aus dem Kinderbettchen. Da kam ihm der wundervolle Gedanke, daß es schön wäre, sie mitzunehmen. Er konnte sie mit einem Arm festhalten und mit dem anderen die Knöpfe betätigen. Es war eine schöne, warme Nacht, und er würde nicht sehr weit fliegen, vielleicht für ein Weilchen in die Luft steigen und dann wieder zurückkommen. Er trug Angelika auf den Balkon und setzte sich wieder zurecht. Es bereitete ihm Schwierigkeiten, sich anzuschnallen, aber schließlich schaffte er es und hatte sogar genug Gurt übrig, um ihn um das Baby zu legen.
    Sie genoß das Ganze.
    »Angelika«, flüsterte der grauhaarige Mann, »dein Vater ist ein fliegender Narr und sein kleines Baby auch.«
    »Angie flieg Vögelchen«, wiederholte die Kleine.
    Robert Smith schloß die Augen. Endlich war er an einer Weggabelung angelangt. Hier war Freiheit und Abenteuer und Romantik, und er war ganz sicher, mit dem Baby auf dem Arm würde die Romanze von reinstem Wasser sein. Sein Herz begann schneller zu klopfen; er hielt die Kleine so fest, daß sie zu wimmern anfing – und dann drückte er auf den Startknopf.
    Und wartete.
    Nichts geschah – nichts veränderte sich

Weitere Kostenlose Bücher