Titan 19
Ordnung«, sagte Bishop.
»Aber Ihr Drink.«
»Dazu komme ich schon noch.«
Die Normannen hatten an jenem Samstag nachmittag auf ihren Pferden gesessen, und die Leopardenbanner hatten sich in der Brise bewegt, und die Wimpel an den Lanzen hatten geflattert, und die Sonne hatte auf ihre Rüstungen geschienen, und die Scheiden ihrer Schwerter hatten geklirrt, während ihre Pferde dahingaloppierten. Sie hatten angegriffen, so wie es die Geschichte berichtete, und man hatte sie zurückgeschlagen. Das war völlig richtig gewesen, denn die Abwehrmauer der Sachsen war erst am späten Nachmittag zerbrochen, und jener letzte Kampf um die Drachenstandarte hatte erst getobt, als es schon beinahe dunkel gewesen war.
Aber da war kein Taillefer gewesen, der vorne ritt und sein Schwert in die Höhe warf und sang.
In diesem Punkt war die Geschichte unrichtig gewesen.
Ein paar Jahrhunderte später hatte sich höchstwahrscheinlich irgendein Kopist einen langweiligen Nachmittag damit vertrieben, indem er in die prosaische Geschichte der Schlacht die Romantik und den Glanz von Taillefers Angriff hineingedichtet hatte. Er hatte sie aus Protest gegen die vier leeren Wände geschrieben, gegen seine spartanische Ernährung, gegen die tagtägliche Langeweile, wo doch der Frühling in der Luft lag und ein Mann draußen auf den Feldern oder im Wald sein sollte, anstatt hinter Türen eingeschlossen mit Federkielen und Tintenfässern.
Und so ist es mit uns auch, dachte Bishop. Wir schreiben in unseren Briefen nach Hause die halbe Wahrheit und die halbe Lüge. Wir verbergen eine Wahrheit oder wir vertuschen eine Tatsache, oder wir fügen ein oder zwei Zeilen hinzu, wenn schon nicht eine ausgesprochene Lüge, dann jedenfalls eine Irreführung. Wir sehen den Tatsachen nicht ins Gesicht, dachte er. Wir gehen über den Mann hinweg, der blutend durchs Gras kriecht. Wir schreiben den Taillefer hinein, der sein Schwert wirbeln läßt.
Und wenn wir es nur in unseren Briefen täten, dann wäre es nicht so schlimm. Aber wir tun es auch uns selbst an. Wir schützen unseren Stolz, indem wir uns selbst belügen. Wir schirmen unsere Würde durch bewußte Indigniertheit ab.
»Hier«, sagte er zu dem Schrank, »ich lade dich ein.«
Er setzte das immer noch volle Glas auf dem Schrank ab.
Der Schrank gurgelte überrascht.
»Ich trinke nicht«, sagte er.
»Dann nimm ihn zurück und gieß ihn wieder in die Flasche!«
»Das kann ich nicht«, sagte der Schrank erschreckt. »Er ist ja schon gemixt.«
»Dann trenne ihn doch.«
»Man kann ihn nicht trennen«, jammerte der Schrank. »Sie erwarten doch sicher nicht von mir…«
Ein kleines Zischen ertönte, und Maxine stand mitten im Zimmer. Sie lächelte Bishop zu.
»Was ist denn los?« fragte sie.
Der Schrank jammerte: »Er möchte, daß ich einen Drink entmixe. Er möchte, daß ich ihn trenne, den Alkohol von den Zutaten. Er weiß, daß ich das nicht tun kann.«
»Aber, aber«, sagte sie, »ich dachte, ihr könntet alles.«
»Ich kann einen Drink nicht entwirren«, sagte der Schrank beleidigt. »Warum nehmen Sie ihn mir nicht ab?«
»Das ist eine gute Idee«, sagte das Mädchen. Sie ging auf den Schrank zu und nahm das Glas.
»Was ist denn mit Ihnen los?« fragte sie Bishop. »Sie wollen wohl feige…?«
»Ich will bloß den Drink nicht«, sagte Bishop. »Hat ein Mann denn nicht das Recht…«
»Natürlich«, sagte sie. »Natürlich haben Sie das.«
Sie trank und blickte ihn über den Glasrand hinweg an.
»Was ist mit Ihrer Hand passiert?«
»Verbrannt.«
»Sie sind alt genug, um nicht mit dem Feuer zu spielen.«
»Und Sie sind alt genug, nicht einfach so in ein Zimmer hineinzuplatzen«, meinte Bishop. »Irgendwann kommt es einmal dazu, daß Sie sich genau an der Stelle wieder zusammenfügen, wo jemand anders steht.«
Sie kicherte. »Das wäre lustig«, sagte sie. »Stellen Sie sich vor, wenn Sie und ich…«
»Ein Chaos wäre das«, sagte Bishop.
»Fordern Sie mich auf, Platz zu nehmen«, sagte Maxine. »Wir wollen uns doch zivilisiert benehmen.«
»Sicher, setzen Sie sich«, sagte Bishop.
Sie nahm auf der Couch Platz.
»Mich interessiert, wie man sich teleportiert«, sagte Bishop. »Ich habe Sie noch nie gefragt, aber Sie sagten…«
»Es ist mir einfach gekommen«, sagte sie.
»Aber Sie können doch nicht teleportieren. Menschen haben keine parapsychologischen Fähigkeiten…«
»Eines Tages wird Ihnen noch eine Sicherung durchbrennen, Kleiner. Sie sind so aufgeregt.«
Er ging
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