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Titan 19

Titan 19

Titel: Titan 19 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss , Wolfgang Jeschke
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»Hör zu, Bill! Ich muß mit dir reden«, sagte ich. »Ich verstehe das einfach nicht. Wirklich, ich kapier’s nicht.«
    »Was denn?«
    »Warum muß der Chef jetzt seinen Abschied nehmen? Wir haben noch nie einen so guten gehabt! Warum haben die ihn zum Rücktritt gezwungen?«
    »Wenn du unter ›die‹ irgendwelche Außenstehenden meinst, hast du unrecht, Tommy. Die Zwangspensionierung ist eine Vorschrift der Patrouille selbst. Man hat sie ihr nicht von außen aufgezwungen. Die Mitglieder des obersten Führungsstabes der Patrouille haben die Altersgrenze selbst festgesetzt. Und sie gilt natürlich für jeden; der Rang des Chefs macht da keinen Unterschied. Er mußte zurücktreten, genau wie ich das mußte, als ich sein Alter erreicht hatte. Wir taugen einfach nichts mehr, Junge.«
    Ich packte ihn am Arm. »Hör doch damit auf! Ehe ich meinen letzten Einsatz antrat, war ich eine Weile in der Bibliothek. Ich hab’ mir ein paar alte Bücher angesehen und dort Berichte über Einsätze der Patrouille gefunden… über die Patrouille, so wie sie vor hundert Jahren war. Damals gab es Patrouillensoldaten, die dreißig Jahre alt waren!«
    »Sicher Junge, das weiß ich. Und vielleicht weißt du das nicht, aber wenn du über Polizeiorganisationen nachliest, wie es sie vor der Patrouille gab, wirst du feststellen, daß die damals sogar noch weit ältere Männer hatten. Sie haben sie auch älter eingestellt. Aber als dann die Patrouille aufgebaut wurde, stellte man fest, daß ältere Männer einfach nicht die Reaktionsfähigkeit oder das Koordinationsvermögen besaßen, um das Tempo durchzuhalten. Also fingen sie an, immer jüngere Männer einzustellen.
    Und dann war da noch ein Faktor: es wurde viel weniger getötet. Morde sind heutzutage seltener als Wolken auf dem Mars, aber ich nehme an, du hast in diesen Berichten auch gelesen, daß die meisten Verbrecher damals tödliche Waffen benutzten. Heutzutage, wo es Lähmpistolen und Schlafgas gibt, ist es viel weniger gefährlich, die Unruhestifter dingfest zu machen. Das hat auch mitgeholfen, das Einstellalter herunterzusetzen und damit auch das Pensionsalter.«
    »Was sind Verbrecher?«
    »Das ist ein altes Wort für Kranke. Du hast dich nie genug mit Geschichte beschäftigt, Tommy. Du solltest dich darauf spezialisieren, sobald du pensioniert bist.«
    »Ich will nicht einmal an die Pensionierung denken«, brummte ich. »Ich hab’ noch zwei Jahre. Vielleicht… komme ich in den Führungsstab und kann diese Pensionierungsvorschrift ändern!«
    Bill schien das irgendwie spaßig zu finden. »Das schaffst du ganz bestimmt nicht. Viele haben das versucht, aber es geht einfach nicht anders. Wenn du sechzehn bist, ist Schluß – und für die Patrouille ist das gut so!«
    »Willst du mir etwa sagen, daß mein Reaktionsvermögen mit sechzehn nichts mehr taugt?«
    »Schau doch mich an«, sagte er grinsend. »Ich bin mit neunzehn am Ende.« Dann wurde er ernst. »Nein, Junge, so ist es nicht. Da fehlt dann etwas anderes – ein bestimmter Korpsgeist oder Idealismus oder vielleicht irgendein Instinkt. Siehst du, unsere Rasse hat sich in den letzten paar hundert Jahren geändert, Tommy. Zum einen läuft unser Erziehungssystem jetzt viel besser. Wir übernehmen viel früher als unsere Urgroßväter Verantwortung, und gleichzeitig… äh… gleichzeitig werden wir etwas früher seßhaft. Unsere Expansion im Weltraum hat uns mit Dutzenden anderer Zivilisationen in Verbindung gebracht, von denen manche Jahrhunderte älter und weiser sind als die unsere. Und auf die Weise haben wir uns eine ganz andere Betrachtungsweise angewöhnt, als unsere Ahnen sie hatten.«
    Ich hatte das Gefühl, daß er sich immer weiter vom Thema entfernte, aber ich ließ ihn reden. Wir machten kehrt und gingen wieder auf den Paradeplatz zu; die Sonne war inzwischen untergegangen, und es fing an, dunkel zu werden.
    »Tommy, wir haben das größte Abenteuer in Angriff genommen«, fuhr er fort. »Wir haben uns die größte Forschungsaufgabe vorgenommen, die man sich vorstellen kann. Die Erforschung von uns selbst. Das ist uns so wichtig geworden, daß wir für andere Dinge einfach keine Zeit mehr haben und auch gar kein Interesse.
    Aber es gibt immer noch Kranke, und ich kann mir vorstellen, daß es die auch immer geben wird, und wenn die Welt sich noch so ändert. Irgend jemand muß sich die Zeit nehmen und sich die Mühe machen, sie einzusammeln und zusammenzuholen und dafür zu sorgen, daß sie behandelt werden.

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