Titan - 2
seiner Lampe in das betonierte Kanalbett. Beide schwiegen bei dem Anblick. Ihr Schweigen war beredter als alle Flüche.
»Kein Wasser! Sie haben die Uferdämme schon wieder zerstört.«
»Warum?« fragte Mary. » Warum? Sie verwenden das Bachwasser doch gar nicht!«
Raymond zuckte die Achseln. »Ich nehme an, sie haben einfach was gegen Kanäle. Nun«, seufzte er, »wir können nicht mehr tun, als in unseren Kräften steht.«
Die Straße, die bald zu einem Weg wurde, führte in Serpentinen den Hang hinauf. Sie kamen an dem flechtenüberwachsenen Wrack eines interstellaren Schiffs vorbei, das vor fünfhundert Jahren auf Gloria havariert war. »Es kommt mir so unwahrscheinlich vor«, sagte Mary. »Die Streuner waren einmal Männer und Frauen wie wir.«
»Nicht wie wir, Liebes«, korrigierte Raymond freundlich.
Schwester Mary schauderte. »Die Streuner und ihre Ziegen! Manchmal ist es schwer, sie auseinanderzuhalten.«
Einige Minuten später fiel Raymond in ein Schlammloch, eine Grube voll Schlick und Sickerwasser, die nicht ungefährlich war. Zappelnd und keuchend kam er mit Marys verzweifelter Hilfe wieder auf festen Grund und stand fröstelnd auf – naß und wütend.
»Dieses widerliche Loch war gestern noch nicht da!« Er kratzte sich den Schlamm von den Kleidern, aus dem Gesicht. »Dinge wie das machen einem das Leben hier zur Hölle.«
»Wir werden auch damit fertig werden, Liebling.« Mit wilder Entschlossenheit sagte sie: »Wir werden kämpfen, werden diese Welt besiegen! Irgendwie werden wir Ordnung schaffen auf Gloria!«
Während sie sich berieten, ob sie weitergehen sollten oder nicht, ging die rote Sonne Robundus am nordwestlichen Horizont auf, so daß sie sich über ihren Zustand klarwerden konnten. Bruder Raymonds khakifarbene Gamaschen und sein weißes Hemd starrten natürlich vor Schlamm. Schwester Marys Tracht war kaum weniger schmutzig.
»Ich sollte heimgehen und mich umziehen«, sagte Raymond verdrossen.
»Raymond – dafür haben wir doch keine Zeit?«
»Ich seh ja lächerlich aus, wenn ich so zu den Streunern gehe.«
»Die bemerken das überhaupt nicht.«
»Wie sollten sie auch?« knurrte Raymond.
»Wir haben nicht genug Zeit«, sagte Mary entschieden. »Der Inspektor kann jeden Tag kommen, und die Streuner sterben wie die Fliegen. Man wird sagen, daß das unsere Schuld ist – und das ist dann das Ende der Segenskolonie.« Nach einer kurzen Pause fügte sie tonlos hinzu: »Wir würden den Streunern natürlich auf jeden Fall helfen.«
»Ich glaube immer noch, daß ich in sauberen Kleidern einen bessern Eindruck machen würde«, sagte Raymond unentschlossen.
»Bah! Als ob die sich um saubere Kleider scheren würden, so wie sie selber rumlaufen.«
»Vermutlich hast du recht.«
Am südwestlichen Horizont tauchte eine kleine, gelbgrüne Sonne auf. »Da ist Urban… Wenn es nicht stockdunkel ist, müssen gleich drei oder vier Sonnen da sein!«
»Viel Sonnenlicht läßt unsere Pflanzen besser gedeihen«, erklärte Mary sanft.
Sie stiegen noch eine halbe Stunde lang höher, dann legten sie eine Atempause ein und wandten sich zurück, um hinunter ins Tal zu ihrer geliebten Kolonie zu blicken. Zweiundsiebzigtausend Seelen hatten auf der von Feldern grüngescheckten Ebene eine neue Heimat gefunden; Reihen von netten, weißgetünchten Häusern säumten die Straßen, frischgewaschene Gardinen hinter den blitzblanken Fenstern, umgeben von gepflegtem Rasen und Blumenbeeten. Hinter den Häuschen waren ordentliche Gemüsegärten angelegt, in denen Kraut und Kohl und Kürbisse wuchsen.
Raymond warf einen Blick auf den Himmel. »Es wird regnen.«
»Woher willst du das bloß wissen?« fragte Mary.
»Erinnerst du dich, wie es goß, als Urban und Robundus zum letztenmal gleichzeitig im Westen standen?«
Mary schüttelte den Kopf. »Das hat doch nichts zu bedeuten.«
»Alles hat etwas zu bedeuten. Das ist das Grundgesetz des Universums – die Basis für unser gesamtes Denken!«
Ein Windstoß fegte von den Hügelkämmen herunter und wirbelte mächtige Staubfahnen auf. In dem gegensätzlichen Licht der gelbgrünen Sonne Urban und der roten Sonne Robundus wogten die Staubschwaden in seltsam bunten Schatten und Streifen durcheinander.
»Da hast du deinen Regen«, schrie Mary über das Brausen des Windes. Raymond kämpfte sich weiter den Weg hinauf. Endlich legte sich der Wind.
»Auf Gloria glaube ich erst an Regen oder an sonst irgendetwas, wenn ich es sehe«, sagte Mary.
»Wir haben einfach
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