Titan 6
zusammenschrumpfenden Grenzen der Menschheit, hörte ich zum erstenmal das Lied der Sehnsüchte, wie ich es nannte.
Und ein anderes, das Lied der Vergessenen Erinnerungen. Hören Sie zu…
*
»Und wieder sang er so ein seltsames Lied. Etwas aber weiß ich jetzt«, verkündete Jim. Der betroffene Unterton in seiner Stimme war stärker geworden, und ich verstand, glaube ich, mittlerweile recht gut, was er fühlte. Ich hatte ja schließlich, das müssen Sie bedenken, die Geschichte nur sozusagen aus zweiter Hand von einem gewöhnlichen Menschen gehört, während Jim sie von einem keineswegs gewöhnlichen Augen- und Ohrenzeugen erzählt bekam, der, wie er es ausdrückte, überdies eine ›Orgelstimme‹ besaß. Ich glaube jedenfalls, daß Jim recht hatte, als er sagte:
»Er war kein gewöhnlicher Mensch. Kein gewöhnlicher Mensch vermag an diese Lieder zu denken. Sie waren so voll gefährlicher, sinnloser Trauer. Auch jenes Lied war voll klagender Molltöne. Ich konnte fühlen, wie der Sänger seinen Geist nach etwas durchsuchte, das er vergessen hatte, etwas, an das er sich verzweifelt gern erinnert hätte – etwas, von dem er wußte, daß er es wissen sollte – und ich begriff, daß er es nie mehr finden würde. Ich spürte, daß es ihm, während er sang, immer mehr entglitt. Ich hörte, wie jener einsame, verzweifelte Sucher sich um eine Erinnerung bemühte, eine Erinnerung, die seine Rettung bedeuten würde.
Und ich hörte ihn einen leisen Klagelaut der Resignation ausstoßen – dann war das Lied zu Ende.«
Jim versuchte, ein paar Töne nachzusingen. Er hat kein Ohr für Musik, aber das muß etwas zu Machtvolles gewesen sein, als daß man es hätte vergessen können. Nur ein paar dahingesummte Noten. Jim hat wohl nicht viel Fantasie, sonst hätte er den Verstand verloren, als jener Mann aus der Zukunft ihm das Lied vorsang. Es sollte Menschen unserer Zeit nicht vorgesungen werden; es ist nicht für sie bestimmt. Haben Sie jemals diese herzzerreißenden Schreie gehört, die manche Tiere ausstoßen, fast menschliche Klageschreie? Ein Tauchervogel etwa – der kann schreien wie ein Wahnsinniger, der auf entsetzliche Weise ermordet wird.
So etwas anhören zu müssen, ist ähnlich unangenehm. Dieses Lied ließ einen genau das empfinden, was der Sänger ausdrücken wollte, glaube ich. Die letzte Niederlage der Menschheit, das war es, was es einen mitfühlen ließ. Nun, die meisten von uns haben immer Mitleid mit den Leuten, die unterliegen, nachdem sie tapfer gekämpft haben. Das war es: man spürte, wie die gesamte Menschheit kämpfte – und verlor. Und man wußte, daß sie sich keine Niederlage leisten konnte, weil es keine zweite Chance für sie gab.
Der Mann, so berichtete Jim, hatte diese ferne Zukunft eigentlich mit Interesse erforscht und hatte sich auch nicht besonders durch die Maschinen, die nicht mehr aufhören konnten, beunruhigen lassen. Aber dieses Lied war doch zu viel für ihn…
*
Ich wußte nun, daß dies Menschen waren, unter denen ich nicht leben konnte. Es waren sterbende Menschen, und ich lebte mit der ganzen Intensität, die eine Rasse in ihrer Jugendzeit aufbringt. Sie schauten mich mit derselben sehnsüchtigen, hoffnungslosen Verwunderung an, mit der sie auch die Sterne und die Maschinen betrachteten. Sie wußten, was ich war, aber sie verstanden es nicht.
Ich begann, auf meine Heimkehr hinzuarbeiten.
Es dauerte sechs Monate. Ich hatte viele Schwierigkeiten zu überwinden, weil meine Instrumente natürlich verlorengegangen waren, und ihre fremde und ganz andere Einheiten aufwiesen. Es gab sowieso nur sehr wenige Instrumente. Die Maschinen lasen keine Instrumente ab: sie setzten sie ein wie wir unsere Sinnesorgane.
Aber Reo Lantal half, wo er konnte. Und schließlich kehrte ich zurück.
Bevor ich aufbrach, tat ich noch etwas, das vielleicht eine Änderung zum Besseren bewirkt. Vielleicht versuche ich irgendwann einmal, wieder in jene Zeit zu gelangen. Um nachzusehen, wissen Sie?
Ich sagte ihnen, sie hätten doch Maschinen, die tatsächlich’ denken könnten. Und daß irgend jemand sie vor sehr langer Zeit abgeschaltet hätte. Und ob jetzt wirklich niemand mehr wüßte, wie man sie in Gang brachte?
Ich fand alte Aufzeichnungen und Anweisungen und entzifferte sie. Ich brachte eine der letzten und besten in Gang und legte ihr ein großes Problem vor. Ein wichtiges Problem. Die Maschine kann Jahrtausende daran arbeiten, Jahrmillionen, wenn es nötig ist.
Eigentlich
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