Titan 6
brauchen, mit einer ganzen Serie von Gedächtnisspulen. Und aus Achtung für die alte Lea wollen wir uns wieder ein weibliches Gehäuse bestellen, ja?«
Das Ergebnis war Helena. Die Dillard-Leute hatten ein Wunder vollbracht und die ganzen komplizierten Innereien in einem zarten Mädchenkörper untergebracht. Selbst die Gesichtszüge aus Plastik und Elastovel waren so wandelbar und menschlich, daß Gefühle damit ausgedrückt werden konnten. Alles war da, Tränendrüsen und Geschmackspapillen, so daß unsere neue Androidin zu jeder menschlichen Handlung fähig war, angefangen vom Atmen bis zum Haareraufen. Die mitgeschickte Rechnung war ein entsprechendes Wunder, aber Dave und ich kratzten schließlich das Geld zusammen. Wir mußten Lea allerdings in Zahlung geben, sonst hätte es nicht gereicht. Danach mußten wir essen gehen.
Ich hatte eine Anzahl gefährlicher Operationen an lebendem Gewebe durchgeführt, und manche waren wirklich heikel, aber ich kam mir trotzdem wie ein Medizinstudent im ersten Semester vor, als wir ihre wohlgeformte Brustplatte abhoben und begannen, ihre Nervenleitungen zu durchtrennen. Daves elektromechanische Drüsen lagen alle bereit, kleine, hochkomplizierte Kombinationen von Schaltelementen, die sich auf die elektrischen Gedankenimpulse abstimmten und sie durch einen Rückkopplungseffekt beeinflußten, so wie etwa Adrenalin die Reaktionen des menschlichen Geistes verzerrt.
Diese Nacht schliefen wir nicht, sondern studierten Bau- und Schaltpläne, folgten der Bahn von Gedanken durch das Netz von Leitungen, durchtrennten wichtige Verbindungen und setzten Daves Heteronen, wie er sie nannte, ein. Und während wir an der Arbeit waren, gab ein automatisches Band sorgfältig ausgesuchte Gedankenschemata und Bewußtseinsgrundlagen in eine zusätzliche Speicherspule ein. Dave gehörte nicht zu den Leuten, die irgend etwas dem Zufall überlassen.
Es wurde schon hell, als wir fertig waren. Hundemüde und triumphierend musterten wir unser Werk. Wir brauchten sie jetzt nur noch einzuschalten; wie alle Dillard-Androiden war sie mit einem winzigen Atommotor statt mit Batterien ausgerüstet und damit in ihrer Energieversorgung unabhängig.
Dave weigerte sich, sie gleich einzuschalten. »Warte, bis wir uns ausgeschlafen haben«, meinte er. »Ich brenne genauso darauf sie zu testen wie du, aber wir werden nichts Vernünftiges zustande bringen, solange wir vor Übermüdung ganz duslig sind. Leg’ dich aufs Ohr, Helena kann schon noch ein bißchen warten.«
Obwohl wir beide nicht sehr fürs Warten waren, wußten wir, daß der Vorschlag das Vernünftigste war. Wir krochen in die Betten und waren auch schon eingeschlafen, bevor noch die Klimaanlage die Temperatur zum Schlafen gedrosselt hatte. Und dann rüttelte mich Dave auf einmal an der Schulter.
»Phil! He, wach auf!«
Ich stöhnte, wälzte mich herum und musterte ihn ungnädig. »Hmm?… Äh! Was ist los? Hat Helena…«
»Nein, es geht um die alte Mrs. van Styler. Sie hat angerufen und gesagt, daß ihr Sohn sich in ein Dienstmädchen verliebt hat, und daß du rauskommen sollst und ihm Hormone dagegen verabreichen mußt. Sie sind in ihrem Sommerhaus in Maine.«
Die reiche Mrs. van Styler! Ich konnte es mir nicht leisten, sie zu vergrämen, jetzt, da Helena mein letztes Erspartes geschluckt hatte. Es war aber ganz bestimmt keine Aufgabe, auf die ich Wert legte.
»Eine Hormonbehandlung! Das dauert mindestens zwei Wochen. Außerdem bin ich kein Gesellschaftsdoktor, der mit Hormonen herumpfuscht, um irgendwelche Idioten selig zu machen. Meine Aufgabe ist es, bei ernsten Beschwerden zu helfen.«
»Und du möchtest Helena beobachten.« Dave grinste, aber im Grunde nahm er die Sache genauso ernst wie ich. »Ich sagte ihr, es würde fünfzigtausend kosten!«
»Was?«
»Und sie sagte, in Ordnung, wenn du dich nur beeilst.«
Damit blieb mir natürlich wirklich keine Wahl mehr, obwohl ich Mrs. van Styler mit Vergnügen den fetten Hals umgedreht hätte. Das Malheur wäre gar nicht passiert, hätte sie Roboter verwendet wie andere Leute auch – aber sie wollte etwas Besonderes sein.
*
So kam es, daß Dave zu Hause an Helena herumbastelte, während ich mir den Kopf zerbrach, wie ich Archy van Styler dazu bringen sollte, sich die Hormone verabreichen zu lassen, und nicht nur ihn, sondern auch das Dienstmädchen. Das verlangte zwar niemand von mir, aber das arme Kind war ebenfalls fürchterlich in Archy verknallt. Dave hätte mir eigentlich
Weitere Kostenlose Bücher