Titanen-Trilogie 02 - Die Kinder der Titanen
seine gute Nachtsicht, die er während des langen Wartens in der Finsternis geschärft hatte, einbüßen würde. Das Tier war nun am Zaun, doch der Zaun war hoch und war schwer zu überwinden. Tyl wußte, daß er es einholen konnte, ehe es darüber hinwegsetzte.
Auch das Tier wußte es. Mit dem Rücken zum Zaun und mit keuchenden Atemzügen stellte es sich ihm. Tyl sah das stumpfe Funkeln seiner Augen, die undeutlichen Umrisse des Körpers, der zottig, geduckt und drohend schien. Tyl ging mit beiden Stöcken darauf los und wollte einen raschen Hieb auf den Schädel anbringen, der das Tier sofort kampfunfähig machen würde.
Doch das Tier schien sich bei Waffen wie bei Fallen auszukennen. Es duckte sich, tauchte außer Reichweite der Stöcke, unterlief sie und grub seine Zähne in Tyls Knie. Er hieb ihm auf den Schädel, einmal, zweimal, spürte wie der üppige Pelz nachgab, und das Tier ließ los. Die Wunde war nicht weiter ernst, da die Schnauze des Tieres nicht vorstand und seine Zähne stumpf waren. Doch Tyls Knie litten noch immer unter dem Hieb, mit dem der Namenlose sie im Jahr zuvor fast zerschmettert hatte. Und außerdem war er wütend über seine Unaufmerksamkeit. Nichts hätte seine Defensive durchbrechen dürfen, ob bei Tag oder Nacht.
Das Wesen zog sich knurrend zurück, und Tyl erstarrte vor Schrecken bei diesem Geräusch. Kein Wolf und keine Wildkatze konnten so artikulieren. Und als es nun sein Blut schmeckte, da wurde das Geschrei hungrig, ja herausfordernd.
Es sprang ihn nun mit aller Gewalt an. Diesmal hatte es das Tier auf seine Kehle abgesehen, wie er sich gedacht hatte. Wieder schlug Tyl auf den Schädel ein, und wieder kam es ihm zuvor und duckte sich, so daß der Schlag abrutschte. Die Bestie schlug gegen Tyls Brust, brachte ihn zu Fall und krallte die vorderen Klauen in seinen Nacken, während die Klauen der Hinterbeine sich in seine Leisten bohrten.
Tyl, überrascht von dieser Wildheit, teilte nun blindlings Hiebe aus, und das Tier ließ von ihm ab. Noch ehe er sich aufrappeln konnte, war es wieder auf den Beinen und kletterte über den Zaun, während er hinterherhumpelte und zu spät kam.
Vor Wut über das Entkommen der Beute fing er laut zu fluchen an, doch waren die Flüche mit einer gewissen grimmigen Achtung gefärbt. Er hatte die Kampfstätte bestimmt, und der Räuber hatte ihn hier hereingelegt. Nun aber wollte er sich die Situation zunutze machen. Ja, vielleicht hatte er jetzt sogar die besseren Chancen.
*
Das Lebewesen ließ sich vom Zaun fallen und entwischte in den Wald. Es blutete aus einer Wunde, die der Angreifer ihm zugefügt hatte und hinkte ein wenig, weil seine Fußknochen verbildet waren. Und dennoch kam es rasch vorwärts. Die hornhautbewehrten Zehen fanden im Gras eine gute Unterlage.
Und klug war es obendrein. Es hatte Tyl deutlich gesehen und seine Witterung aufgenommen. Nur der würgende Hunger hatte seine Wachsamkeit ein wenig dämpfen können. Es hatte die Rapiere als Waffen erkannt und war ihnen ausgewichen. Trotzdem hatte es Hiebe hinnehmen müssen, und sie hatten geschmerzt. Das Wesen überlegte, es drehte und wendete das Problem, während es eilig auf das Ödland zustrebte. Das Menschenvolk wurde immer eigensinniger, was die Feldfrüchte betraf. Jetzt lagen sie gar schon auf der Lauer, griffen an, nahmen die Verfolgung auf. Dieser da hätte beinahe Erfolg gehabt. Wäre der Hunger nicht so groß, hätte man das Gebiet besser gemieden. Man würde sich zum Schutz eben etwas Besseres einfallen lassen müssen.
Es drang nun ins Ödland ein, wohin kein Mensch ihm folgen konnte und hielt ein wenig inne, um zu Atem zu kommen. Es hob einen Ast mit seinen gedrungenen, fleckigen Gliedmaßen auf. Das Vorderglied war breit, die Klaue kräftig und flach – weniger als Waffe geeignet, denn als Schutz für die verhornten Finger. Es fuchtelte wild mit dem Stock und ahmte die Haltung des Mannes aus dem Kornfeld nach. Es hieb mit dem Holzstück gegen einen Baum, und das trockene Stück zerbrach. Ja, es hatte etwas dazugelernt.
Beim nächsten Raubzug würde es einen Stock mitnehmen.
II
Der Herr des Imperiums sann über der Nachricht, die Tyl von den Zwei Waffen ihm gesandt hatte. Tyl hatte sie natürlich nicht selbst geschrieben, denn wie die meisten Anführer der Nomaden war er Analphabet. Seine kluge Frau Tyla aber hatte die Kunst des Schreibens mit Begeisterung erlernt – wie viele der anderen Frauen – und beherrschte sie nun einigermaßen.
Der Herr konnte lesen
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