Titanen-Trilogie 03 - Der Sturz der Titanen
übermüdet sein. Gegen dich erhebe ich mein Schwert nicht.«
Erschüttert zogen sie sich zurück. Wie hatte es bloß zu dieser Verwirrung kommen können? Hätte das Glockenspiel nicht ein paar Töne von sich gegeben, wären sie in einen Kampf verwickelt worden, und Tyl hätte ihn womöglich erschlagen, ohne es zu wollen. Welche Ironie, da sie dem Schrecken des Waldes noch gar nicht begegnet waren!
Wieder kam verstohlen eine Gestalt näher. Neq aber war zu gewitzigt, um sich überrumpeln zu lassen. Diesmal war es nicht Tyl - die Gestalt war gar nicht männlich.
»Minos!« rief sie. Sie war nackt. Ihr Busen wogte, als sie ihre Stöcke erhob.
Stöcke? Das konnte nicht Neqa sein! Es musste - Vara sein. Sie war gekommen, ihn zu töten. Gekommen, um Rache zu üben.
Doch sie ließ ihre Waffen wieder sinken. »Minos, ich werde dir keinen Widerstand entgegensetzen. Komm und fass mich mit deinen ungeheuren Gliedmaßen. Aber lass Var gehen.« Und sie breitete ihre Arme einladend aus.
Was ging bloß mit ihr vor, mit ihm und mit Tyl? Neq hatte geglaubt, Neqa vor sich zu sehen. Jetzt ineinte Vara, sie hätte Var vor sich. Oder Minos, wer immer das sein mochte. Und Tyl hatte angegriffen . . .
Neq wich zurück und versuchte sich einen Reim darauf zu machen, doch er konnte sich vor den verwirrenden Bildern in seinem Bewusstsein nicht retten. Die Bäume erschienen ihm als Bedrohung, der Fluss als riesige Schlange, die Finsternis war erstickend. Er spürte den Drang zu kämpfen, zu töten, zu vernichten.
Und jetzt kam Tyl wieder mit seinen Stöcken. Und auch Vara. Neq wich mit beinahe ängstlicher Hast aus. Ihm gefiel diese Situation gar nicht. Tyl mochte vielleicht einen Groll gegen ihn hegen, und Vara mochte guten Grund haben, ihn zu töten, aber dies alles war nicht anständig und ganz und gar nicht normal für die beiden.
Tyl traf auf Vara. »Raus aus meinem Lager, du Schlampe!« rief er und hob die Stöcke kampfbereit.
»Nein, Bob, nicht!« schrie sie auf. Sie zog sich zurück, wandte aber ihr Gesicht nicht von ihm ab. »Wenn du mich berührst töte ich dich!«
Sie waren nahe daran, aufeinander loszugehen - und Neq war zur Nebenfigur geworden! Wie Dämonen umschlichen sie einander, und warteten mit dem ersten Streich, bis sich eine Gelegenheit zum tödlichen Streich bot. Wie Gesetzlose, wie die Mörder Neqas . . .
Da griff Neq mit sirrendem Schwert an. Tod allen beiden!
Doch da passierte ihm, was ihm nie zuvor passiert war. Sein Fuß verfing sich in einer Ranke, und er fiel der Länge nach hin. Schmutz und Laub schlugen ihm ins Gesicht, das Glockenspiel ließ seine Töne hören - ein ganz unpassendes Geräusch.
Neq rollte sich um die eigene Achse und spuckte Erde aus. Sein Leib hatte eine Demütigung hinnehmen müssen, sein Bewusstsein aber war schlagartig wieder klar geworden. Das waren die Geister! Diese vom Wahnsinn Erfassten, die Trugbilder sahen und einander angriffen! Das war der Tod, der im Walde lauerte!
Wieder hüllte ihn der Duft der Nachtblüher ein und betäubte seine Nüstern mit seiner Fülle. Ähnlich dem Alkohol veränderten die Düfte seinen Blickwinkel, ließen das Wirkliche unwirklich erscheinen, das Unwirkliche wirklich . . .
Er musste töten. Die Geister waren nun schon fast über ihm. Neq sprang auf und warf sich die Uferböschung hinunter ins schwarze Wasser des Flusses. Der Kälteschock verschaffte seinem Kopf wieder volle Klarheit.
Ja, hier lauerte der Tod. Der Tod, den die Geister mit sich brachten. Dunst-Geister, vom Wind in die Lüfte zerstreut, Geister, die die Mordlust weckten. Ein gasförmiger Mörder, der keinen Fussabdruck und keine Narbe hinterließ. Der Geist des Waldes. Jetzt wusste er, was sich dahinter verbarg- und konnte ihm doch nicht entgehen. Atmen musste der Mensch! Der physische Schock des kalten Wassers dämpfte die Wirkung nur vorübergehend; schon drang der heimtückische Duft wieder in seine Nase, in die Lunge und ins Gehirn, veränderte seine Wahrnehmung, gaukelte ihm aufreizende Bilder vor . . .
Mit dem Schwert konnte man nicht dagegen ankämpfen! Nur ein Unbewaffneter konnte auf ein Überleben hoffen. Und wer wagte sich schon unbewaffnet in diesen Wald?
Neq warf einen Blick auf sein schimmerndes Glockenspiel, das im Mondlicht schwach aufleuchtete. Schon wieder verschwamm es zu einem Schwert. Zu einem Geisterschwert. Denn sein echtes Schwert war tot. Das Geisterschwert würde ihn nur in den Tod führen, denn ohne den Glauben daran, war er
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