Titanen-Trilogie 03 - Der Sturz der Titanen
wir in der Nacht dorthin - und müssen einen Umweg machen, der doppelt so lang ist, nämlich über den Berg. Bei Nacht wagt sich keiner durchs Tal.«
»Der Fluss sieht harmlos aus«, bemerkte Tyl. »Ist euer Pfad frei?«
»Durchweg. Keine natürlichen Hindernisse, keine Raubtiere. Früher gab es Riesen-Mäuse. Die haben wir ausgerottet. Jetzt gibt es nur Wild, Hasen, Vögel. Keine Raubtiere, wie gesagt.«
»Und ihr habt Leichen gefunden?«
»Ja, immer wieder. Manche ohne äußere Zeichen von Gewaltanwendung. Andere wieder, denen man den Todeskampf ansehen konnte. Nie haben wir jemanden allein oder unbewaffnet durch den Wald geschickt, und doch sind alle umgekommen.«
Deswegen legten sie sich in den Hinterhalt und überfielen harmlose Wanderer, dachte Neq bei sich. Ganz hübsch, aber nicht sehr klug. Waren sie denn nie auf den Gedanken gekommen, daß einer, nachdem er das Rätsel des Waldes gelöst und die Gefahr beseitigt hatte, Rachegelüste entwickeln könnte, weil man ihm aufgelauert hatte? In diesem Fall hätte die Lösung des Wald-Rätsels eine neue Katastrophe über den Stamm gebracht.
Tyl marschierte los. Neq und Vara folgten ihm eilig. Es war noch nicht dunkel, doch würde es stockfinster sein, lang ehe sie den Wald erreichten. Eine Zehn-Meilen-Nachtwanderung, ausgeruht und sattgegessen - eine reine Routinesache, wären da nicht die Geister gewesen!
In einiger Entfernung von den Stammesmitgliedern, trennten sie sich und schlichen geduckt zu beiden Seiten des Trampelpfades weiter. Kein Wort wurde gesprochen. Allen dreien war diese Technik des Vorrückens vertraut. Die größte Gefahr drohte von den Männern im Rücken nicht von den angeblichen Geistern vor ihnen. Man musste mit der Möglichkeit rechnen, daß im Wald Fremde absichtlich getötet wurden, damit das Gebiet in schlechten Ruf geriet, denn es war äusserst unwahrscheinlich, daß der Stamm nicht die leiseste Ahnung von der wahren Natur dieser Bedrohung hatte.
Doch sie wurden nicht verfolgt. Vorsichtig drangen die drei weiter vor, Tyl an der Waldseite des Pfades, Vara entlang des Flusses, Neq, der nicht kämpfen konnte, in der Mitte. In den Greifklauen hielt er einen dünnen Stock und tastete damit den Boden nach Fallgruben ab. Er schlich gebückt dahin, um eventuell vorhandenen Drahtschlingen oder ähnlich gefährlichen Hindernissen von oben auszuweichen. Er rechnete damit, etwas Todbringendem zu begegnen, er rechnete aber keinesfalls mit einem Gespenst!
Nach einer Stunde hatten sie nicht ganz zwei Meilen zurück-
gelegt. Ihre übertriebene Vorsicht war überflüssig gewesen. Es hatte sich keine Gefahr gezeigt. Vor ihnen aber lagen noch acht Meilen und acht Stunden Dunkelheit. Die Furcht der Stammesmitglieder war nicht gespielt gewesen. Vielleicht hausten sie unter der Erde, weil an der Oberfläche im Walde tatsächlich eine Gefahr lauerte.
Der Weg war trotz der Dunkelheit wunderschön. Auf der Westseite wurde der Pfad von dunklen Bäumen überschattet, auf denen der Vollmond lag, im Osten floss gemächlich der Fluss. Den Boden deckten große Ranken, mit Nachtblüten bestückt. Immer intensiver wurde der Duft, würzig und erfrischend in der leichten Brise.
Neq musste an seine Kindheit denken. Schön war es damals gewesen, zusammen mit den Eltern und der Schwester. Was dann gekommen war, der Ruhm und Untergang des Imperiums, war mit jener Geborgenheit nicht zu vergleichen. Warum hatte er sie aufgegeben?
Hig der Stock! Dieser Mann hatte seinen lüsternen Blick auf Nemi, Neqs junge Zwillingsschwester geworfen! Neq wollte in der Erinnerung vor Wut und Kühnheit die Schwerthand ballen - da fiel ihm ein, daß er keine Hand mehr hatte. Yod der Gesetzlose hatte sie ihm genommen -
Die Zeit verzerrte sich. Es war dunkel, doch Neq sah genug im diffusen Mondlicht. Eine Gestalt kam auf ihn zu, es war die Gestalt Yods. Yods, dessen elende Lenden -
Neq schwang sein schimmerndes Schwert und warf sich dem Gegner entgegen. Heute nacht würde ein Schädel die Stange zieren!
Treffer! Aber mit dem Schwert konnte man nicht richtig umgehen. Es gab Töne von sich, ein misstönendes Geklingel.
Schockiert setzte seine Erinnerung wieder ein. Das war kein Schwert! Es war das Glockenspiel, mit dem man Musik machen konnte.
Jetzt erst sah er seinen Gegner genauer an. »Tyl! Du erhebst im Zorn das Schwert gegen mich?«
Erschrocken wich Tyl zurück. »Neq! Ich habe dich verwechselt mit - mit einem anderen. Mit einem, der schon tot ist. Ich muss wohl
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