Titanen-Trilogie 03 - Der Sturz der Titanen
waffenlos.
Und plötzlich überfiel ihn Einsamkeit. Nie war ihm sein Leben sinnloser erschienen.
Er fasste nach dem Schwert und berührte dabei das Glockenspiel. Die Töne und sein Tastgefühl sagten es ihm. Ein Weg, sich ständig daran zu erinnern, daß alles falsch war, was er sah. Da fing er an, sich eine Melodie zusammenzusuchen, mitten im Wasser - im Wasser, das ihm wie warmes, gehaltvolles Blut erschienen war -, und die Töne waren schön und klar. Sie strebten auseinander, bildeten eine Weise, und jeder Ton war voller Leben. Die Weise als Ganzes weitete sich aus und umspannte die Welt. Die Weise geriet zum Marschrhythmus. Mit jedem Schlag sah er einen Fuss. Und alle marschierten sie in den Himmel. Er sang:
Du musst hindurch, Durchs einsame Tal,
Du schaffst es allein, Dir bleibt keine Wahl. . .
Diese Melodie ließ ihn nicht mehr los, sie half ihm aus dem Wasser und verlieh ihm eine großartige kummervolle Stärke. Wir müssen hindurch, Durchs einsame Tal -
Schatten umdrängten ihn, männlich und weiblich . . . aber die Musik erschreckte sie. Wie eine Kette von Kriegern schlugen die Notenreihen den Gegner zurück und schwächten seine Entschlusskraft. Er sang immer weiter, und immer schöner als je zuvor.
» Und schaffen es allein . . . «
Mit neu aufkeimendem Selbstvertrauen stimmte Neq eine neue Weise an und wanderte den Pfad entlang, triefend vor Nässe, und die anderen folgten ihm. Nur ein Mensch voller Sorgen Singt ein Sorgenlied! Und das Geister-Echo gab ihm recht, und gemeinsam sangen sie nun viel lauter.
Nur ein Mensch voller Sorgen
Singt ein Sorgenlied!
Mich drücken Kummer und Sorgen,
Nur bis zum hellen Morgen!
Siegesgewiss fuhr Neq fort und warf neue Kräfte an Gesang und Musik in den Kampf, als die alten Truppen an Kampfkraft gegen den Geister-Duft verloren. Weiter den Pfad entlang, durch den dunklen Wald, so zerstreute er entschlossen mit Stimme und Instrument die heimtückischen Dünste und führte die gefangenen Gestalten aus dem einsamen Tal.
Und dann war es geschafft. Verlegen brach Neq unvermittelt ab. Seine Stimme klang ihm heiser in den Ohren. Stundenlang waren sie marschiert und hatten dazu gesungen. Und Tyl und Vara waren bei ihm. Sie schüttelten den Kopf, als wären sie aus einem Alptraum erwacht. Die Dämmerung war nahe.
XV
»Haltet euch vom Stamm fern«, sagte Tyl. »Die sollen ruhig glauben, daß wir tot sind. Andernfalls töten sie uns womöglich, damit ihr Geheimnis gewahrt bleibt. Wir wollen heute im Wald schlafen.«
»Im verwunschenen Wald?« fragte Vara nervös.
»Bei Tag ist er sicher. Wir werden ihn auch nachts wieder aufsuchen.«
»Was?!« Neq konnte es nicht fassen. »Beinahe hätten wir einander dort getötet! Die
Geister -«
»Das hast du verhindert«, sagte Tyl. »Deine Waffe hat sie besiegt und hat uns wieder herausgeführt. Aber unser Sieg ist unvollkommen, ehe wir nicht wissen, was diese Wirkung hervorruft und warum der Stamm der Gesetzlosen immer wieder unschuldige Fremde in den Wald schickt. Ich bin sicher, daß sie um die Ursache wissen. So dumm können sie nicht sein - in unmittelbarer Nähe leben und keine Ahnung von dem Geheimnis haben. Noch nie bin ich vor einem Feind geflohen - oder habe einen möglichen Feind hinter mir gelassen.«
Er hatte recht. Ein Feind, den man unbeachtet ließ, war doppelt gefährlich. »Die Blüten« sagte Neq. »Nachtblüher.«
Tyl holte seine Waffen hervor.
»Stöcke für dich«, sagte er zu Vara. »Für dich, Neq, das Schwert.«
Neq konnte das Schwert mit seinen Klauen kaum halten, doch er begriff, was Tyl vorhatte.
Tyl ging zu einer Kletterranke und pflückte eine geschlossene Blüte ab. Er öffnete die Blütenblätter und führte die Blüte an die Nase. Tief sog er den Duft ein. »Ganz schwach, irgendwie anders.« Wieder sog er den Duft ein. Und dann ein drittes Mal.
Er veränderte sich. Seine Augen weiteten sich und wurden wieder klein. Die Hand zuckte nach dem Schwert.
Er ließ die Blüte fallen und grinste. »Das ist es!« rief er aus. »Ich habe mich daran berauscht - aber ich weiß, was es ist. Kommt mir nicht zu nahe -«
Sie wussten, was er damit meinte. Der schwache und vorübergehende Effekt einer einzigen Blüte bei Tag konnte einem Menschen, der um die Gefahr wusste, nichts anhaben, so wenig wie ein Tropfen Alkohol ihm etwas anhaben konnte. Doch der geballte Duft Tausender Blüten auf dem Gipfel ihrer Kraft, die sich die ganze Nacht über entfaltete
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