Titanen-Trilogie 03 - Der Sturz der Titanen
höchst unzuverlässiger Bundesgenosse.
»Var war so aufopfernd«, sagte Vara. »Er hat mir immer geholfen, auch damals als ich mich als Junge verkleidete. Als wir im Schnee die Nacht verbringen mussten, und ich von einem Ödland-Ungeziefer gestochen wurde, schleppte er mich zurück zur einzigen Herberge, und das, obwohl er einen verstauchten Knöchel hatte. Und er kämpfte, um mir Ruhe zu verschaffen, obwohl er noch nicht fähig war, in den Ring zu treten. Erschöpft und mit geschwollenem Fuss -«
Und Neq musste sich das anhören. Das also war der Mann gewesen, den er getötet hatte. Er konnte ihr nicht wiedergeben,
was er ihr genommen hatte, er der ihren Verlust nicht in vollem Umfang begriff. Er merkte genau, was sie im Begriff stand zu tun. Tyl hatte sie zwar abgehalten, ihn mit Stöcken anzugreifen. Deshalb griff sie ihn nun mit Worten an. Ihre artikulierten Erinnerungen waren schrecklich, weil sie einen Toten zum Leben erweckten, Vars größe und den Schmerz über seinen Tod vervielfachten.
Ihr verbaler Feldzug war wohl berechnet, das wusste er. Trotzdem tat es ihm weh. Denn er konnte sich nicht verteidigen. Er hatte ihren Mann getötet, jenen Mann, der sein Freund hätte werden sollen und es nun nie mehr sein konnte.
Wenn sie manchmal Var sagte, so hörte er Neqa. Und Neq selbst war zu Yod geworden, dem Mörder der Unschuldigen.
*
Es klappte. Dir Ranke gedieh unter Tyls Pflege, und eine winzige Flamme in der Laterne bewirkte, daß die Blüte geschlossen blieb. Gewöhnlich stellten sie die Pflanze in einiger Entfernung von ihrem Nachtlager aus und ließen sie aufblühen, damit ihr natürlicher Zyklus nicht zu stark gestört würde. Sie brauchten nicht zu fürchten, daß Tiere sich an die Pflanze heranmachten. Der Duft war ausreichend als Verteidigung. Ein Abstand von einer Meile erschien ihnen mehr als genug - wenn die Windrichtung nicht wechselte, dann weniger als eine Meile. Gelegentlich kam es zwar vor, daß sie den schwachen Duft spürten und ein gewisses Erstarken tierischer Leidenschaften in sich.
Sie gerieten abermals in einen Hinterhalt, ein häufiges Vorkommnis in der Nach-Irren-Welt. Eine Stunde lang konnten sie sich mit Hilfe von Tyls Schusswaffe verschanzen. Unterdessen öffnete die verdeckte Pflanze langsam ihre Blüten und ließ den Duft durch Öffnungen im Behälter ausströmen. Als er die Wirkung spürte, fing Neq zu singen an und ließ sein Glockenspiel ertönen. Er beschränkte sich auf Lieder um Kameradschaft und Gerechtigkeit, während der Duft in die Nachmittagsluft aufstieg. Tyl und Vara schlossen sich an und legten die Waffen nieder - so daß der Feind sie nicht sehen konnte. Die Wegelagerer lachten, weil sie das alles für ein lächerliches Schaupsiel hielten.
Dann aber brach unter ihnen Streit aus. Die Dünste hatten sich verbreitet. Sie waren nicht stark, doch es reichte, denn die Wegelagerer waren angriffslustig und arglos. Tyl deckte die Pflanze ab, damit sich die Blüte schließen konnte. Sie selbst mussten sich von den Wirkungen völlig frei machen, ehe sie weiterzogen. Sie waren mittlerweile auf der Hut vor ihren eigenen niederen Regungen, doch hatte es keinen Sinn auch nur das kleinste Risiko einzugehen.
Die Wegelagerer waren mittlerweile völlig in Auflösung begriffen und wussten nicht warum. Die starken Leidenschaften von Männern, die es in die Gesetzlosigkeit getrieben hatte, waren nicht mehr zu zügeln. Kaum war der Konflikt entstanden, fand er einen günstigen Nährboden.
Neq machte nun den Fehler, ein Liebeslied anzustimmen. Immer deutlicher wurde ihm die nahe Gegenwart Varas bewusst, die sechzehnjährig den Höhepunkt ihrer Weiblichkeit erreicht hatte. Er wurde sexuell erregt, ungeachtet der Dinge, die sich zwischen ihnen abgespielt hatten. Aber Tyl war immer zugegen, und seine störende Anwesenheit bewirkte, daß Neq sich über die Gefahr klarwurde und sich zwang, auf andere Lieder auszuweichen. Vara lieben? Da war es noch ungefährlicher, einen Killer-Falter des Ödlandes zu küssen.
Es wurde Zeit aufzubrechen. »Vorwärts, christliche Soldaten!« sang Neq. Der Text war für ihn unverständlich. Melodie und Geist des Liedes aber wirkten aufmunternd.
Singend durchwanderten sie eine Wildnis des Todes. Nur ganz selten mussten sie sich eines Angriffs erwehren. Sie trafen auf Paare, die im Kampf zusammengespannt waren, andere wieder in der Liebe, denn die Frauen wurden zu den Aktivitäten herangezogen. Ein Mann und eine Frau knurrten
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