TITLE
Königin. Die Gemächer der Königin befanden sich in dem nach dem Meere zu gelegenen Flügel des Palastes und gingen auf eine ganz mit Orangen- und Zitronenbäumen bedeckte Terrasse. Ich fand die Königin, mit dem neuen Kleide angetan, welches sie sich nach dem meinigen hatte fertigen lassen. Sie trug eine einzige weiße Feder im Haar und ihr blauer Kaschemir war über einen Sessel geworfen. Ich wollte sie mit dem gewöhnlichen Zeremoniell begrüßen, sie umarmte und küßte mich aber und sagte: »Rasch, rasch zur Toilette!« – Ich wußte anfangs nicht recht, was diese Aufforderung heißen sollte; die Königin zeigte mir aber mein auf einem Sessel liegendes Kleid und ich begriff nun, daß sie sich die Grille in den Kopf gesetzt, uns eine wie die andere gekleidet sehen zu wollen. Es war dies auch wirklich ihre Absicht. Ich fragte sie nun, ob sie mir erlauben wolle in ein Nebenkabinett zu gehen, um hier das Kleid zu wechseln. Sie zuckte die Achseln: »Wozu dergleichen Zeremonien zwischen uns?« fragte sie. Dann, als sie meine Verlegenheit sah, setzte sie hinzu: »Lassen Sie mich nur machen. Ich werde Ihre Zofe sein und Sie werden sehen, daß ich meinen Dienst ganz gut verstehe.«
Ich war so verlegen, daß ich nicht wußte, was ich tat. Ich stammelte, ich zitterte, ich stach mir meine Nadeln in die Finger, ich versuchte mich den Händen der Königin zu entziehen. »Sind Sie denn toll?« rief sie. »Werden Sie mich wohl machen lassen? Ich befehle es Ihnen!« Und dann, um mir zu beweisen, daß dieser Befehl, obschon mit gebieterischer Stimme gesprochen, eine neue Gunst war, faßte sie mich, indem sie mir ihn erteilte, um den Leib und küßte mich auf die Schulter. Ein Schauer durchrieselte meinen ganzen Körper. Ich war so weit entfernt, dergleichen Vertraulichkeiten von einer Königin zu erwarten, die für die stolzeste und gebieterischeste Frau ihres Königreiches galt, daß ich zu träumen glaubte. Ich fragte mich, ob dies wirklich die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, und ob ich wirklich die Tochter einer armen Bauernmagd sei. Ich war gewissermaßen moralisch geblendet. Ich mußte, wohl oder übel, die Königin gewähren lassen. Sie half mir das Kleid ablegen, in welchem ich gekommen war, dann zog sie mir mein weißes Atlaskleid an und steckte mir eine weiße Feder ins Haar. Hierauf näherte sie unsere beiden Köpfe dem Spiegel und schaute einen Augenblick lang hinein. In halb schmollendem Tone sagte sie dann: »Meiner Treu, ich treibe da ein einfältigesHandwerk. Ganz gewiß. Mylady Hamilton, Sie sind schöner als ich.«
Ich errötete, ganz verlegen, bis über die Ohren und wußte, nicht, wo ich mich verbergen sollte. »Ew. Majestät,« sagte ich zu ihr, »werden mir erlauben, nicht Ihrer Meinung zu sein. Ich bin vielleicht hübsch, aber Sie – o Sie, Sie sind schön!« – »Finden Sie das wirklich, und sagen Sie mir es ohne Schmeichelei?« – »O, ich schwöre es Ihnen!« rief ich mit dem Ausdrucke der ungeheucheltsten Aufrichtigkeit. – »Also,« sagte sie, indem sie einen Blick auf ihre prachtvollen Schultern warf, »wenn Sie ein Mann wären, liebe Lady, so würden Sie sich in mich verlieben?« – »Ich würde noch mehr tun als dies, Madame; ich würde Sie auf den Knien anbeten.« Sie schüttelte den Kopf und lächelte wehmütig. – »Geliebt zu werden ist schon etwas Seltenes,« sagte sie dann, »besonders für eine Königin. Verlangen wir nicht das Unmögliche und dennoch –« Sie stockte und seufzte.
Ich betrachtete sie mit einer Teilnahme, in der sie sich nicht irren konnte. »Und dennoch?« wiederholte ich. Sie schlang einen ihrer Arme um meinen Hals und ließ mich an ihrer Seite auf einem Sofa Platz nehmen.»Wie viel Liebschaften haben Sie gehabt?« fragte sie mich dann. – »Fragen mich Eure Majestät, wie vielmal ich geliebt habe oder wie vielmal ich geliebt worden bin?« – »Sie haben recht; es ist nicht dasselbe. Ich frage also, wie vielmal Sie geliebt worden sind.« – »Einmal mit zärtlicher Freundschaft und einmal mit tiefer Liebe.« – »Und welches von diesen beiden Gefühlen hat Sie am vollständigsten glücklich gemacht?« – »Die zärtliche Freundschaft, glaube ich.« – »Und Sie?« – »Ich?« – »Ja, Sie. Wer ist von allen Ihren Anbetern der, den Sie am meisten geliebt haben?« – Ich lächelte. »Soll ich freimütig antworten?« fragte ich. – »Wir sollen Sie dies stets.« – »Einen dritten, der mich nicht liebte.« – Die Königin machte eine Bewegung mit
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