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sich. Diese beiden Männer waren hierhergekommen, nicht um sie ins Verderben zu stürzen, sondern um sie zu retten.« – »Und der König?« – »Der König stieg zuletzt aus, Madame. Er schien mir sehr ruhig zu sein. Er ging zwischen Barnave und Petion mit seinem gewöhnlichen Schritt.« – »Und Sie selbst?« – »Ich kehrte in das Hotel Penthièvre zurück, um der Prinzessin von Lamballe die gute Nachricht zu bringen, daß die Königin ohne Unfall in den Palast zurückgekehrt sei. Im Laufe des Abends kam Madame Campan. Sie brachte im Auftrage der Königin den Brief, den ich soeben die Ehre gehabt Ew. Majestät zu überreichen. Sie bat im Namen der Königin Marie Antoinette Ew. Majestät, eine Abschrift davon dem Kaiser Leopold zu übersenden, an welchen sie nicht Zeit gehabt zu schreiben. In Meaux, wo sie im Hause des Bischofs die Nacht vom 23. zum 24. zugebracht, hatte sie Mittel gefunden, an Ew. Majestät zu schreiben.«
»Ach, meine arme Marie! meine arme Marie!« rief die Königin. »O, warum kann ich nicht sie anstatt dieses Briefes an mein Herz drücken! Ach, wäre es ihr möglich, zu entrinnen, zu mir zu kommen! In Caserta und in Neapel würde sie hundertmal glücklicher sein als in Versailles und in Paris.« – »Wenn sie es könnte, Madame,« sagte die Inglesina, »so würde sie sicherlich nicht ermangeln es zu tun und sich glücklich schätzen.« – Man betrat den Palast in Caserha. »Übernimm die Sorge für unsere liebe Inglesina,« sagte die Königin, sich zur mir wendend. »Siehe zu, daß es ihr an nichts fehle. Ich werde mittlerweile den Brief meiner armen Marie lesen und die mir von ihr erteilten Weisungen befolgen.« Eine Stunde später ging ein Kurier nach Neapel ab, um den General Acton aufzufordern, sich den nächstfolgenden Tag in Caserta einzufinden und dem Kurier des Kaisers Leopold zu befehlen, nicht abzureisen, ohne die Depeschen der Königin mitzunehmen.
53. Kapitel.
Die Geschichte unserer Inglesina – welche ich fortfahren werde, mit diesem Namen zu benennen, weil sie uns ersucht, ihren wahren Namen nicht zu veröffentlichen – war sehr einfach. Sie war das einzige noch übrige Kind einer edlen herabgekommenen Familie und erfreute sich der Gunst und des Schutzes des Herzogs von Norfolk und der Lady Mary Duncan, welche ihre Familie gekannt und sie selbst in dem irländischen Kloster der Rue du Bac untergebracht hatten. Hier genoß sie den Unterricht Sacchinis, Musiklehrers der Königin. Erstaunt über die Fortschritte, welche seine Schülerin machte, und da er sie überdies mit großer Geläufigkeit italienisch und deutsch sprechen gehört, rühmte der Komponist des »Oedipus auf Colonos« sie seiner königlichen Gebieterin so sehr, daß diese die junge Dame zu sehen wünschte. Die Prinzessin von Lamballe erbot sich, sich inkognito in dem Kloster gerade zu der Stunde einzufinden, wo Sacchini seine Lektion geben würde. Sie kam auch wirklich und versicherte nach ihrer Rückkunft in die Tuilerien der Königin, daß die Lobsprüche des berühmten Komponisten keineswegs übertrieben seien. Zwei Tage später ward Inglesina von der Königin empfangen, welche, die Dienste bedenkend, die in den ernsten Umständen, worin sie sich befand, eine Person ihr leisten konnte, welche, zugleich englisch, deutsch und italienisch sprach, die junge Dame, an sich fesselte, weit mehr durch sanfte Worte, als durch die Hoffnung auf Belohnungen, welche die Königin zu dieser Zeit nicht einmal zu versprechen gewagt hätte, da sie ja fürchten mußte, diese Versprechungen nicht halten zu können. Inglesina erzählte uns selbst, wie sie von der Königin von Frankreich den Auftrag erhalten, dessen sie sich in diesem Augenblicke bei der Königin von Neapel entledigte. Sie war aus Frankreich mit zwei Briefen abgereist – einem an Marie Karoline, und dies war der, welchen sie ihr soeben zugestellt, und einem zweiten an die Herzogin von Parma. Da Parma auf dem Wege nach Neapel lag, so war der für die Herzogin von Parma bestimmte Brief notwendig zuerst abgegeben worden. Als Inglesina in Parma angelangt war, hatte sie erfahren, daß die Herzogin sich in Colorno, ihrem Landhause, befand. Sie machte sich demzufolge sofort dahin auf, und langte in dem Augenblicke an, wo die Herzogin ausreiten wollte. Sie winkte einem Diener, der sich ihrem Wagen näherte, und bat ihn, die Herzogin von ihrer Ankunft zuunterrichten. Der Diener ging auf die Herzogin zu und meldete ihr, daß eine junge Dame, die soeben aus Paris
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