TITLE
angekommen, sie zu sprechen wünsche und einen Brief überbrächte, den sie nur der Herzogin selbst zustellen könne. Inglesina folgte mit den Augen dem Diener, der ihr Vermittler geworden. Bei den Worten:
»Eine junge Dame aus Paris« hatte sie gesehen, wie die Herzogin stutzte und unruhig ward. Sofort aber näherte sich diese dem Wagen und Inglesina wiederholte ihr, um weder von den Franzosen noch von den Italienern, welche die Herzogin umgaben, verstanden zu werden, auf deutsch, was sie ihr schon durch den Diener hatte sagen lassen, nämlich, daß sie von der Königin Marie Antoinette mit einem Briefe beauftragt sei, den sie nur ihr allein überreichen könne. Die Herzogin hatte Inglesina hierauf aufgefordert, den Wagen zu verlassen, und in den Palast hineinzugehen, in welchen sie ihr dann nachgefolgt war, und den Brief gelesen hatte, während die Botin einige Erfrischungen zu sich nahm. Kaum hatte die Herzogin die erste Zeile gelesen, so hatte sie auf italienisch ausgerufen:
»O mein Gott, mein Gott! Alles ist verloren! Es ist zu spät!« So wie sie weiter las, rief sie von Zeit zu Zeit: »Vergebens! völlig vergebens! Sie sind alle verloren!« Dann setzte sie, sich zu Inglesina wendend, hinzu: »Es tut mir leid, daß es Ihnen nicht möglich ist hier zu bleiben und ein wenig auszuruhen. Wenn Sie aber nach Parma zurückkommen, so wird es mir sehr angenehm sein, Sie wiederzusehen!« Dann zog sie ihr Tuch, trocknete sich eine Träne und sagte: »Die Umstände sind gegenwärtig von der Art, daß ich, wenn ich diesen Brief beantworten wollte, nicht bloß mich, sondern auch meine Schwester und Sie selbst bloßstellen würde.« Mit diesen Worten stieg sie wieder zu Pferde, wünschte Inglesina glückliche Reise und galoppierte davon. Inglesina setzte ihren Weg weiter fort. Allerdings fand sie die Herzogin von Parma in bezug auf die Gefahren, in welchen ihre Schwester schwebte, ein wenig kalt; da ihr aber natürlich daran lag, so bald als möglich in Neapel anzulangen, so reiste sie schnell weiter, ohne sich die mindeste Ruhe zu gönnen.
Nach den Enttäuschungen kamen die Katastrophen. Inglesina reiste, wie schon bemerkt, in einer Postchaise mit einem Diener auf dem Kutschbock. Dieser Diener hatte unter seinen Füßen die Kassette, in welcher die Reisende ihr Geld und ihre sonstigen Kostbarkeiten verwahrt hielt. Da sie bei Tage in Rom ankommen wollte, so schickte sie ihren Diener voraus, um Pferde zu bestellen.Da aber nun niemand mehr da war, der die Kasse bewachte, so ward sie zwischen Aqua Pendente und Monte Rosa gestohlen, so daß sie bei ihrer Ankunft in Rom gerade noch so viel Geld hatte, um die Post bezahlen zu können, aber keinen Heller, um ihre Reise nach Neapel fortzusetzen. Zum Glück hatte sie einen Empfehlungsbrief an die Herzogin von Paoli, welche in Fontana Trevi wohnte. Am Morgen vor ihrer Ankunft hier begab sie sich daher zu der Herzogin, übergab ihr ihren Brief und erzählte ihr ihr Unglück. Die Herzogin lieh ihr hundert Dukaten, womit sie ihre Reise fortsetzte. Inglesina wußte wohl, daß sie, sobald sie nur einmal in Neapel wäre, dann nichts mehr brauchen würde. Die Herzogin gab ihr überdies einen Empfehlungsbrief und zwar an niemand anders als an Sir William. Da Inglesina nicht mußte, wer ich war, so fragte sie mich, ob ich den englischen Gesandten kenne, ob dies ein gefälliger Mann sei, und ob ich sie an ihn empfehlen könnte. Zu Inglesinas großem Erstaunen bestand meine Antwort darin, daß ich den an Sir William gerichteten Brief entsiegelte. Die Herzogin von Paoli bat Sir William darin, alle notwendigen Nachforschungen anstellen zu lassen, damit die arme Inglesina wieder in den Besitz ihrer Kassette käme. Da ich nicht wußte, ob ich Sir William vor dem Abgange des kaiserlichen Kuriers, welcher wieder durch Rom kam, und auf den nächstfolgenden Morgen bestellt war, sehen würde, so ergriff ich eine Feder und schrieb an den englischen Konsul in Rom, indem ich ihn bat, bei den päpstlichen Behörden darauf zu dringen, daß alle nötigen Schritte getan würden, nicht wie sie gewöhnlich zu geschehen pflegten, sondern mit Ernst und Nachdruck. Ich bezeichnete die beiden Postillone als die Personen, welche vor allen Dingen festgenommen werden müßten, denn Inglesina hatte mir gesagt, daß man sie ihr als Diebe von Profession bezeichnet. Als ich den Brief beendet hatte, gab ich ihn Inglesina zu lesen, welche, als sie ihn mit »Lady Hamilton« unterzeichnet sah, das ganze Geheimnis meiner
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