TITLE
schlafen Sie vierundzwanzig Stunden, wenn Sie können.« – Die arme Inglesina war in der Tat kränker, als sie es selbst glaubte, oder als sie es gestehen wollte. In der Nacht ward sie von einem heftigen Fieber ergriffen und sah sich genötigt, acht Tage lang das Bett zu hüten.
Während dieser Woche ließ die Königin keinen Tag vergehen, wo sie nicht selbst die Kranke in ihrem Zimmer besucht und sich selbst nach ihrem Befinden erkundigt hätte. Ich brauche nicht erst zu sagen, daß trotz aller Nachforschungen, welche wir, Sir William Hamilton und ich, anstellen ließen, Inglesinas Kassette nicht wieder gefunden ward. Wir erfuhren bloß, daß einer der beiden Postillone der Pate eines Kardinals war, was ihm gestattete, das Handwerk eines Diebes und das eines Postillons gleichzeitig auszuüben.
Nach Verlauf von acht Tagen reiste Inglesina, vollkommen wiederhergestellt, nach Frankreich zurück. Sie nahm einen in Chiffern geschriebenen Brief von der Königin von Neapel an die Königin Marie Antoinette mit.
Am 27. August hatte der Kaiser Leopold in Pillnitz mit dem König Friedrich Wilhelm die verabredete Zusammenkunft. Nurdie beiden Zeugen, welche dieser Unterredung beiwohnten, hätten sagen können, worin der Zweck derselben bestand. Der eine derselben war Herr von Bouillé, welcher dem König einen so großen Beweis von Anhänglichkeit in Varennes gegeben, wo er bis zum letzten Augenblicke versuchte, ihn den Händen des Volkes zu entreißen. Der andere war Herr von Narbonne, jener schöne Kriegsminister, den Frau von Staël erfunden, welche einen Augenblick lang hoffte, ihr Genie diesem hohlen Kopfe einzupflanzen. Ein Geheimnis, welches das Geschwätz der Hofschranzen ziemlich durchsichtig gemacht, umgab die Geburt dieses schönen Mannes, welcher, wie man behauptete, nichts anderes war als die Frucht eines Inzests zwischen dem König Ludwig dem Fünfzehnten und seiner Tochter Madame Adelaide, welche damals in Rom war und die wir acht Jahre später mit ihren beiden Schwestern in Palermo sehen sollten. Mittlerweile begannen die Nachrichten aus Frankreich ein wenig günstiger zu lauten. Die Nationalversammlung hatte die konstitutionelle Akte beendet, welche später unter dem Namen der Konstitution von 91 bekannt war. Am 14. September hatte der König sich in die Konstituante begeben und die Konstitution beschworen, indem er sich verpflichtete, sie mit aller auf ihn übertragenen Macht aufrecht zu erhalten. Sofort und als ob die Nationalversammlung nur darauf gewartet hätte, daß dieser feierliche Akt die Nation mit dem König wieder aussöhne, ward Ludwig dem Sechzehnten erlaubt, alle Befehle zu erteilen, die er für seine Sicherheit und die Würde seiner Person angemessen erachten würde. Die Siegel wurden in seinen Gemächern wieder abgenommen und der Garten ebenso wie das Schloß der Tuilerien dem Publikum wieder geöffnet.
Dennoch wurden die Kriegsrüstungen von seiten des Königs von Preußen, des Kaisers Leopold und des Königs Ferdinand deswegen nicht weniger eifrig betrieben, als plötzlich drei im höchsten Grade unerwartete Neuigkeiten am Hofe von Neapel aufeinander folgten. Man erfuhr nämlich, daß der Kaiser Leopold am 1. März gestorben, daß Gustav der Dritte, König von Schweden, am 16. desselben Monats ermordet worden und endlich, daß am 20. April Frankreich an Franz den Ersten, König von Böhmen und Ungarn, den Krieg erklärt hatte. Ich weiß nicht, ob in der Gemütsverfassung, in der die Königin sich befand, der Tod ihres Bruders Leopold ihr sehr schmerzlich war. Trotz des Vertrags von Pillnitz, trotz der äußerlichen Kriegsrüstungen behauptete man leise, es bestünde zwischen dem französischen Minister Delmare und demKabinett von Wien ein geheimes Einverständnis zur Aufrechterhaltung des Friedens. In seiner Eigenschaft als Philosoph liebte Leopold den Krieg nicht und war auch übrigens nicht bereit, einen zu führen. Der Kaiser Franz dagegen, der Neffe der Königin, welcher seinem Vater folgte, repräsentierte die Konterrevolution vollkommen und war ganz der Mann, wie Marie Karoline für ihre Pläne ihn brauchte. Sofort nach dem Tode des Kaisers Leopold war der Gesandte Frankreichs in Wien, Herr von Noailles, fast Gefangener in seinem eigenen Palaste. Was Preußen betraf, so war man dieses Staates sicher. Unter seinem Schutze manövrierten die Emigrierten und bei einer öffentlichen Audienz hatte der König Friedrich Wilhelm Herrn von Sègur, dem Gesandten Ludwig des Sechzehnten oder
Weitere Kostenlose Bücher