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Adel und das Volk beteten von zwei Uhr nachmittags bis zum Abend auf der Brücke. Wenn ich aber sage Abend, so ist dies unrichtig, denn esgab jetzt weder Tag noch Abend und nur die Glocken, welche das Ave Maria läuteten, zeigten die Wiederkehr der Nacht an.
In der Nacht vom 15. zum 16. zog ein Knall, als ob eine Pulvermühle in die Luft flöge, aller Aufmerksamkeit an, denn die ganze Bevölkerung von Neapel war auf den Straßen. Die furchtsamsten der Bewohner lagen mit dem Gesicht auf der Erde und die minder erschreckten lagen auf den Knien oder beugten sich wenigstens unter der Last des furchtbaren Ereignisses. Eine unermeßliche Feuergarbe flog aus dem Krater bis an den Himmel und fiel dann in flammenden Trümmern auf den Abhang des Berges. Hierauf quoll aus dem Gipfel des Berges ein doppelter Feuerstrom, wovon sich der eine Arm nach Resina, der andere nach Torre-del-Greco wandte.
Dreißigtausend Personen, Männer, Frauen und Kinder, folgten erstarrend diesem doppelten Lavastrom mit den Blicken. Die ganze Ebene, welche sich zwischen dem Vulkan und Resina ausdehnte und alle Landhäuser, welche auf dieser Ebene standen, wurden von Lava überströmt; an den Toren von Resina aber stand die furchtbare Überschwemmung, wie auf ein überirdisches Gebot, plötzlich still. Zum Unglück geschah dies nicht bei Torre-del-Greco. Eine frühere Lavaüberschwemmung hatte die Hälfte der Stadt bedeckt, war dann plötzlich stillgestanden und hatte eine dunkle Klippe gebildet, welche beinahe hundert Meter weit den von der Lava verschonten Teil der Stadt umgab. Auf dieser Klippe hatte sich, wie auf einem neuen tarpesischen Felsen, eine neue Stadt erhoben und den verbindenden Teil zwischen der alten und der neuen Stadt bildete eine in die Lava gehauene Treppe. Diesmal ward nun sowohl die alte, wie die neue Stadt vollständig verheert und überschwemmt. Der vulkanische Strom durchfloß die neue Stadt an ihrer Basis und von der Höhe der Klippe riß er sie wie einen feurigen Katarakt auf die alte Stadt herab, welche er verschlang und bis an die höchsten Häuser und den Glockenturm überdeckte. Dann stürzte der Strom, welcher die Trümmer zweier Städte mit sich fortriß, dem Meere zu, wo er einen Damm bildete, hinter welchem die Schiffe Schutz finden konnten. Dies geschah alles in der Nacht vom 15. zum 16., als ob die schreckliche Katastrophe, um den Gipfelpunkt ihrer Furchtbarkeit zu erreichen, des Schreckens bedurft hätte, welchen die Finsternis einflößt.
Am Morgen des 16. erschien die Sonne, die man drei Tage lang nicht gesehen, wieder am heiteren Himmel. Ein Teil desVesuvs war vom Vesuv selbst verschlungen worden; der höchste Teil des Berges war in den Krater gestürzt und da er von einer Höhe nun mehr als tausend Meter herabstürzte, hatte er den Krater eingedrückt und dabei mit einem furchtbaren Getöse die ungeheure Feuergarbe aufsprühen lassen, die das Meer in einer Runde von zehn Meilen erleuchtet und die beiden Lavaströme hatte austreten lassen, die das Land überschwemmt hatten. Durch diesen Sturz ward der Kegel des Berges, der bis dahin der niedrigste gewesen, der Beherrscher der Lüfte. Während dieser Trauer- und Schreckensstunden hörten alle Arbeiten, nur nicht die der Staatsjunta, auf, denn einige von ihr erlassene Aktenstücke datieren von den drei Tagen des Erdbebens. Der Zorn Gottes hatte den Zorn der Könige nicht besänftigt. An dem Morgen nach der Nacht, in welcher durch das Durchgehen der Pferde das Leben der Königin und das unsrige in Gefahr schwebte, und in welcher wir durch die wunderbare Dazwischenkunft des geheimnisvollen Unbekannten gerettet worden waren, hatte die Königin den Polizeichef zu sich beschieden und diesem befohlen, die genauesten Nachforschungen zur Entdeckung ihres Retters anzustellen. Alle Mühe war jedoch nutzlos und obgleich der Polizeichef seine geschicktesten Agenten ausgeschickt hatte, so vermochte doch keine Hand den Schleier zu lüften, der auf diesem seltsamen Ereignisse ruhte. Der König schrieb am 15., daß er, da das Wetter sich wieder aufgeheitert habe, am 17. auf die Jagd gehen, und folglich erst den 18. zurückkommen werde.
Vom dem, was in Neapel oder dessen Umgebungen hätte geschehen können, erwähnte er kein Wort. Ihm selbst war kein Unglück zugestoßen, alles andere war ihm gleich.
65. Kapitel.
Ich habe mit wenigen Worten die Verurteilung und den Tod Tommaso Amatos, eines der ersten Opfer der Junta, erzählt, bei dessen Prozeß notwendig das Verbrechen
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