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einem mir bis dahin noch völlig unbekannt gewesenen Gefühl zur Beute. Die Nachtigall fuhr fort zu singen, die Töne der Harfe aber waren verstummt.
Ich entsann mich der zweiten Liebesszene zwischen Romeo und Julia, und mehr als jemals schienen die süßen Modulationen darin zu liegen, welche mich im Theater so betroffen gemacht. Dennoch zögerte ich, wie dringend ich auch das Bedürfnis fühlte, die wunderbaren Verse des großen Dichters zu deklamieren, das harmonische Schweigen zu stören und eine Menschenstimme mit dem Gesang der Nachtigall und jenem unbeschreiblichen Geräusch zu mischen, welches in der durchsichtigen Finsternis einer Sommernacht dem Schwirren zu gleichen scheint, welches Oberons und Titanias Fittiche hervorbringen.
Dennoch aber floß, wie aus einem allzuvollen Kelche, jener erste Vers:
»Noch ist's nicht Zeit; oh bleib noch, Romeo!« Die Verdeutschung der Worte Shakespeare's ist die Schlegel-Tieck'sche
über meine Lippen. Dann sah ich mich, an allen Gliedern zitternd, um. Ich war wirklich allein. Ich ward dreister und rief mit lauterer Stimme:
»Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.
Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
Glaub', Lieber, mir; es war die Nachtigall.
Atemlos hielt ich inne. Es war mir, als hätte ich das Geräusch eines sich öffnenden Fensters gehört. Ich schaute nach der Seite hin, von welcher das Geräusch gekommen war. Ich sah nichts. Alles war ruhig, alles schien einsam zu sein. Ich hatte ein niegeahntes Vergnügen daran finden gelernt, die Töne meiner eigenen Stimme zu hören, und ich fuhr fort:
»Die Lerche war's, die Tagverkünderin,
Nicht Philomele; sieh den neid'schen Streif.
Der dort im Ost der Frühe Wolken säumt.
Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
Der munt're Tag erklimmt die durst'gen Höhen,
Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod!«
Nachdem ich die erste Schüchternheit überwunden, fuhr ich, von der Melodie meiner eigenen Stimme berauscht, fort, mit dem ganzen Ausdruck, den ich darein zu legen vermochte, die Szene bis zu Ende zu deklamieren. Die Reihe des Antwortens war an mir, und gerade als ob Romeo zugegen gewesen wäre, um mich zu hören, oder als ob ein ganzes Publikum zugehört hätte, um mir dann Beifall zuzujubeln, antwortete ich:
»Trau mir, das Licht ist nicht des Tages Licht.
Die Sonne hauchte dieses Luftbild aus,
Dein Fackelträger diese Nacht zu sein,
Dir auf den Weg nach Mantua zu leuchten;
D'rum bleibe noch,– zu geh'n ist noch nicht not.«
Es kam mir vor, als hätte ich in diesen letzten Vers nicht Leidenschaft genug gelegt und ich wiederholte ihn daher mit meiner ganzen Seele.
Diesmal war ich mit mir zufrieden.
Hierauf antwortete ich an Romeos Stelle mir selbst:
»Lass' sie mich greifen, ja, lass' sie mich töten!
Ich gebe gern mich drein, wenn du es willst.
Nein, jenes Grau ist nicht des Morgens Auge,
Der bleiche Abglanz nur von Cynthia's Stirn.
Das ist auch nicht die Lerche, deren Schlag
hoch über uns des Himmels Wölbung trifft.
Ich bleibe gern; zum Geh'n bin ich verdrossen,
Willkommen, Tod! hat Julia dich beschlossen,
Nun, Herz? Noch tagt es nicht, noch plaudern wir.«
Ich dachte daran, wie schön Mistreß Siddons in diesem Augenblick gewesen war, das heißt, als sie, indem sie einsieht, daß siesich irrt, gewahrt, in welche Gefahr ihr Irrtum oder vielmehr ihre Liebe Romeo gebracht hat, und ich rief in einem Tone, der vor Angst und Furcht nicht weniger erbebte als der ihrige:
»Es tagt, es tagt! Auf! Eile fort von hier!
Es ist die Lerche, die so heiser singt,
Und falsche Weisen, rauhen Mißton gurgelt.
Man sagt, der Lerche Harmonie sei süß,
Nicht diese: sie zerreißt die uns're ja.
Die Lerche, sagt man, wechselt mit der Kröte
Die Augen; möchte sie doch auch die Stimme!
Die Stimm' ist's ja, die Arm aus Arm uns schreckt,
Dich von mir jagt, da sie den Tag erweckt.
Stets hell und heller wird's; wir müssen scheiden!«
Kaum hatte ich diesen letzten Vers mit dem ganzen Ausdruck, den ich dareinzulegen vermochte, deklamiert, als eine Stimme »Bravo!« rief und lauter Beifall sich von der Seite her vernehmen ließ, auf welcher ich ein Fenster sich öffnen zu hören glaubte. Ich stieß einen Schrei aus, eilte in mein Zimmer zurück, schloß das Fenster wieder hinter mir und sank zitternd auf einen Divan. Ich hatte allein zu sein geglaubt. Ich irrte mich, ich hatte einen Zuhörer gehabt. Wer aber war dieser Zuhörer? Ganz gewiß ein junger Mann. Die Stimme war frisch und
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