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TITLE

Titel: TITLE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Dumas
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ich nicht kenne. Die Vorsehung, welche diesmal mich ihres Blickes würdigt, entfernt diese Person aus meinem Wege. An ihrer Statt finde ich einen Mann von edlem Herzen und eine Frau mit sanftem, zärtlichem Gemüt. Für sie gehe ich in einem Augenblick aus dem Zustande einer Fremden in den einer Freundin über. Man sucht und findet für mich eine Stellung, die besser ist, als die, welche ich bei dem älteren Mr. Hawarden bekleidete, und weit besser als meine erste Stellung bei Mistreß Davidson. Die ehemalige Schafhirtin wird erste Ladenmamsell eines der reichsten Juweliere von London und hier faßt das Verhängnis, welchemich entronnen bin, mich abermals und schleudert mich, ohne daß ich Zeit habe mich zu besinnen, in jene krumme gefährliche Bahn hinein, von welcher Mr. Hawarden mir eine so abschreckende Schilderung entworfen. Was soll ich tun? Soll ich dieses verhängnisvolle Haus fliehen? Soll ich zu Mr. Hawarden eilen, ihm alles sagen, alles gestehen, selbst meinen Wunsch Schauspielerin zu werden? Soll ich mich unter seinen Schutz stellen und ihm zurufen: »Hier bin ich! Retten Sie mich! Retten Sie mich!« Wenn ich dies tun will, so muß es geschehen, ehe noch die Nacht verflossen ist, denn wenn diese über meiner Abwesenheit vergeht, so ist alles verloren. Oder soll ich bleiben? Soll ich mein Boot der Strömung, welche es fortträgt, folgen lassen, ohne Lotse und ohne Steuerruder mitten unter den Strudeln und den Stromschnellen? Soll ich es so dem Ozean zutreiben lassen, das heißt einer unbekannten wunderbaren Zauberwelt oder vielleicht den Eisbergen des Polarmeeres?
    Aber welcher Unterschied zwischen dem Leben dieser Frau, welche prachtvolle Pferde, elegante Equipagen, Lakaien in kostbarer Livree, ein luxuriöses Hotel, so viel Diamanten, daß sie nicht weiß, was sie damit machen soll, Logen in allen Theatern und einen Geliebten hat, zu welchem sie sagt: »Treten Sie ein, lieber Prinz, ich erwarte Sie!« und der Existenz jener armen Ladenmamsell, welche um acht Uhr morgens aufsteht, ihren Tag damit zubringt, daß sie Schmucksachen handhabt, von welchen ihre Hände nur die Spur des Drucks und ihre Augen den Reflex behalten; die um zehn Uhr sich zu Bett legt, und nicht einmal in ihrem Zimmer die Verse Shakespeares zu deklamieren wagt, weil sie fürchtet, daß die Nachbarn sich darüber beschweren, und daß ihr Dienstherr sie frage, ob sie laut träumt! O Herr, mein Gott, selig sind die, welche die Kraft haben, dem Strom zu widerstehen; aber zu entschuldigen bei der Stellung, welche die menschlichen Gesetze ihnen in der Gesellschaft bereiten, sehr zu entschuldigen, o mein Gott, sind die, welche sich von dem Strome fortreißen lassen. Leider gehörte ich zur Zahl dieser Letzteren. Der Abend verging und die Nacht kam, ohne daß ich den Mut gehabt hätte, zu einem Entschlusse zu kommen. Ich hätte wenigstens an Mr. Hawarden schreiben, ich hätte ihn bitten sollen, an meiner Statt seiner würdigen Gattin die Füße zu küssen. Ich nahm aber nicht bloß meine Zuflucht nicht zu ihm, sondern ich schrieb ihm sogar nicht einmal. Ich schämte mich, ihn wiederzusehen und vermied daher seine Begegnung. Da ich fühlte, daß schon die Erinnerung ein Gewissenbißwar, so bemühte ich mich, zu vergessen, und da mir dies nicht gelang, so betäubte ich mich wenigstens. Dies war meine zweite Undankbarkeit. Und dennoch, woran lag es, daß ich nicht gerade das Gegenteil tat? Ich wollte schreiben; ich trat in ein kleines Kabinett, wo ich ein Bureau gesehen. In diesem Bureau hoffte ich Feder, Tinte und Papier zu finden. Ich fand aber von all' diesem nichts darin. Ich fand weiter nichts als ein Buch, ein Buch, welches ich mechanisch öffnete und las. Es führte den Titel: »Clarissa Harlowe«. Ich wußte nicht, was ein Roman war, ebenso wie ich bei meiner Ankunft in London nicht gewußt hatte, was ein Theaterstück war.
    Ich öffnete das Buch oder vielmehr ich öffnete eine neue Pforte, welche in die phantastische, unbekannte Welt führte, in die ich an dem Tage eingetreten war, wo der Vorhang eines Theaters vor mir aufgegangen. Dieser, wie man versichert, zu einem moralischen Zweck geschriebene Roman äußerte auf mich eine Wirkung, welche der, die der Verfasser beabsichtigt, geradezu entgegengesetzt war. Lovelace erschien mir, anstatt als ein abscheulicher Verführer, vielmehr als ein verführerischer Gentleman. Ich beneidete Clarissa sozusagen um ihr Unglück, weil sie ja des Glücks der Liebe teilhaft geworden, und ich war

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