Tochter der Finsternis: Die Chroniken des Magnus Bane (04) (German Edition)
»Aber natürlich kannst du darauf spielen, bevor du gehst. Sie ist immer noch im Musikzimmer und wartet auf dich. Wir haben nichts verändert.«
»Seine Geige?«, murmelte Magnus. »Ich hätte nicht gedacht, dass die Stillen Brüder etwas für Musik übrig haben.«
Tessa seufzte leise und trat in den Flur hinaus. Magnus folgte ihr. »Will sieht keinen Stillen Bruder, wenn er James ansieht«, antwortete sie. »Er sieht bloß Jem.«
»Ist es manchmal schwierig?«, wollte Magnus wissen.
»Ist was schwierig?«
»Dass Sie das Herz Ihres Mannes mit jemand anderem teilen müssen«, erklärte er.
»Wenn es anders wäre, wäre es ja nicht mehr Wills Herz«, erwiderte Tessa. »Er weiß, dass er sich mein Herz ebenfalls mit Jem teilen muss. Anders geht es für mich auch gar nicht – und für ihn umgekehrt genauso wenig.«
Sie waren so eng miteinander verbunden, dass sie selbst heute noch nichts auf der Welt mehr trennen konnte, und wenn es nach ihnen ging, konnte es auch für immer so bleiben. Magnus hätte Tessa gerne gefragt, ob sie manchmal Angst davor hatte, was mit ihr geschehen würde, wenn es Will eines Tages nicht mehr gab, wenn das Band zwischen ihnen unwiderruflich durchtrennt wurde, aber er tat es nicht. Wenn sie Glück hatte, würde es noch lange dauern, bis Tessa ihren ersten Todesfall zu beklagen hatte und sie erkennen musste, was es bedeutete, unsterblich zu sein und gleichzeitig jemanden zu lieben, der es nicht war.
»Das ist wirklich schön«, entgegnete Magnus stattdessen. »Dann wünsche ich euch mal viel Glück mit eurem kleinen Teufelsbraten.«
»Wir sehen uns natürlich noch mal, bevor Sie London verlassen«, sagte Tessa im selben Tonfall, den sie schon als Mädchen besessen hatte und der keinerlei Widerspruch duldete.
»Selbstverständlich«, antwortete Magnus. Er zögerte. »Ach, und Tessa: Wenn Sie mich jemals brauchen sollten – und ich hoffe, dass bis dahin noch viele, glückliche Jahre vergehen –, dann lassen Sie es mich wissen und ich komme sofort.«
Er sah, dass sie verstand, was er damit meinte.
»Das werde ich«, nickte Tessa und reichte ihm die Hand. Sie war klein und zart, aber ihr Griff war erstaunlich fest.
»Ihr könnt mir glauben, Werteste«, sagte Magnus betont munter. Er ließ ihre Hand los und verbeugte sich mit einer ausholenden Geste. »Ruft mich und ich werde kommen!«
Als Magnus der Kirche den Rücken zuwandte und davonging, drang der Klang einer Violine an sein Ohr, von der nebligen Londoner Luft getragen, und rief in ihm die Erinnerung an eine andere, längst vergangene Nacht wach. Eine Nacht voller Geister, Schnee und Weihnachtslieder, in der Will auf dem Treppenabsatz des Instituts stand und Magnus hinterhersah. Nun war es Tessa, die, die Hand zum Abschied erhoben, in der Tür stand, bis Magnus das Tor mit seiner unheilvollen Botschaft erreicht hatte: Staub und Schatten sind wir. Er blickte zurück, sah ihre zierliche, blasse Gestalt auf der Türschwelle des Instituts und dachte erneut: Ja, vielleicht war es ein Fehler, dass ich aus London weggegangen bin.
***
Es war nicht das erste Mal, dass Magnus von London nach Chiswick fuhr, um dem Haus der Lightwoods einen Besuch abzustatten. Benedict Lightwoods Heim hatte allen Schattenweltlern offen gestanden, die für seine Vorstellung von einer guten Zeit empfänglich gewesen waren.
Damals war es eine stattliche Villa gewesen, strahlend weiß und mit griechischen Skulpturen und mehr Säulen, als dass man sie hätte zählen können. Die Lightwoods waren eine stolze Familie mit einem Hang zur Angeberei, und ihr Zuhause in all seinem neoklassizistischen Prunk hatte genau das auch widergespiegelt.
Magnus wusste, was aus diesem Stolz geworden war. Benedict Lightwood, der Patriarch der Familie, hatte sich durch seinen sorglosen Umgang mit Dämonen eine Krankheit eingefangen, die ihn in ein blutrünstiges Monster verwandelt hatte, sodass seinen Söhnen am Ende nichts anderes übrig geblieben war, als ihn mithilfe einiger weiterer Schattenjäger zu töten. Zur Strafe hatte der Hohe Rat ihnen die Villa weggenommen und all ihr Vermögen konfisziert. Der verbleibende Rest der Familie war daraufhin zur Lachnummer verkommen. Ihr Name wurde als Synonym für den Sündenfall gebraucht, als sprichwörtliches Beispiel für den Verrat an allem, was den Schattenjägern wichtig war.
Magnus hatte wenig für die maßlose Arroganz der Schattenjäger übrig und freute sich daher für gewöhnlich, wenn sie von ihrem hohen Ross geholt
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