Tochter der Finsternis: Die Chroniken des Magnus Bane (04) (German Edition)
unnatürliche Blässe vergessen und er war wieder ein junger Mann, dessen Leben gerade erst begonnen hatte und dessen Herz vor Hoffnung und Liebe schier überquoll.
Wie sehr diese drei einander liebten! Sie hatten so sehr füreinander gelitten und doch war es offensichtlich, welches Glück es für sie war, nur zusammen im selben Raum zu sein. Magnus hatte selbst schon einmal geliebt – mehr als einmal sogar –, aber er konnte sich nicht erinnern, dass er dabei jemals diesen inneren Frieden verspürt hätte, der in diesem Moment der trauten Innigkeit von den dreien ausging. Manchmal hatte er sich nach diesem Frieden gesehnt wie ein Mann, der verdammt war, jahrhundertelang durch die Wüste zu ziehen, ohne jemals Wasser zu finden, und deshalb auf ewig mit dem Verlangen danach leben musste.
Tessa, Will und ihr verlorener Freund standen eng umschlungen. Magnus wusste, dass es für sie für die Dauer dieser Umarmung nichts anderes auf der Welt gab als sie drei.
Er blickte zu dem Sofa hinüber, auf dem James Herondale lag, und stellte fest, dass er aufgewacht war. Seine goldenen Augen waren wie wachsame Flammen, die den Kerzen zeigten, wie wirklich helles Feuer aussah. James war der Jüngste hier im Raum, der Junge, dessen Leben gerade erst begonnen hatte, doch in seinem Gesicht war kein Anzeichen von Hoffnung oder Freude zu entdecken. Tessa, Will und Jem gehörten zusammen, das erkannte man sofort. James dagegen sah selbst jetzt, umgeben von all den Menschen, die ihn mehr liebten als ihr eigenes Leben, unglaublich einsam aus. Sein Blick hatte etwas Verzweifeltes, Hoffnungsloses. Er versuchte, sich auf einen Ellenbogen aufzustützen, sank jedoch gleich wieder in die Sofakissen zurück. Sein schwarzer Schopf fiel nach hinten, als wäre er viel zu schwer für ihn.
Tessa, Will und Jem unterhielten sich nun murmelnd, wobei Wills Hand auf Jems Arm lag. Magnus hatte noch nie gesehen, dass jemand einen Stillen Bruder so berührte, in einer simplen Geste der Freundschaft. Er spürte einen dumpfen Schmerz in seinem Herzen und konnte diesen Schmerz im Gesicht das Jungen auf dem Sofa wiederentdecken.
Aus einem spontanen Impuls heraus stand Magnus auf, durchquerte den Raum und kniete sich neben das Sofa, dicht bei Wills Sohn, der ihn aus müden goldenen Augen ansah. »Sieh sie dir an«, sagte James. »Sieh dir an, wie sie einander lieben. Früher dachte ich, alle würden so lieben. So wie im Märchen. Ich dachte, die Liebe wäre großzügig, edelmütig und gut.«
»Und heute?«, fragte Magnus.
Der Junge wandte sein Gesicht ab. Magnus sah sich einem schwarzen Haarschopf gegenüber, der dem seines Vaters so sehr ähnelte. Unter James’ Hemdkragen blitzte der Rand seiner Parabatai-Rune hervor. Der Rest davon musste auf seinem Rücken aufgebracht worden sein, gleich über dem Schulterblatt, dort, wo der Flügel eines Engels ansetzen würde, dachte Magnus.
»James«, flüsterte Magnus mit dringlicher Stimme. »Auch dein Vater hatte einmal ein schreckliches Geheimnis, von dem er glaubte, dass er es niemanden auf der ganzen Welt anvertrauen könnte. Aber er hat es mir anvertraut. Ich kann erkennen, dass dir etwas schwer zu schaffen macht, etwas, dass du vor allen geheim hältst. Wenn es irgendetwas gibt, was du mir erzählen möchtest – egal, ob jetzt oder später –, verspreche ich dir, dass dein Geheimnis bei mir sicher ist. Und ich verspreche, dass ich dir helfen werde, wo ich kann.«
James drehte sich um und sah Magnus an. Magnus glaubte zu sehen, wie seine Züge etwas sanfter wurden, als ob der Junge in seinem Inneren den unbarmherzigen Griff lockerte, mit dem er festhielt, was ihn so quälte. »Ich bin nicht wie mein Vater«, antwortete James. »Glauben Sie nicht, meine Verzweiflung sei nur getarnte Selbstlosigkeit, denn das ist sie nicht. Ich leide um meinetwillen, nicht für jemand anderen.«
»Aber warum leidest du?«, fragte Magnus frustriert. »Deine Mutter hatte recht, als sie sagte, dass du dein ganzes Leben geliebt wurdest. Wenn du zulassen würdest, dass ich dir helfe …«
Die Miene des Jungen verschloss sich abrupt. Er wandte sich wieder von Magnus ab und schloss die Augen. Licht fiel auf die Spitzen seiner Wimpern.
»Ich habe mein Wort gegeben, dass ich niemandem davon erzählen würde«, sagte er. »Und es gibt niemanden auf dieser Welt, der mir noch helfen kann.«
»James«, wiederholte Magnus. Er war ehrlich überrascht, wie verzweifelt der Junge klang, und konnte die Besorgnis in seiner Stimme nicht
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