Tochter der Nacht
Name. Es mußte ein verruchter Mann sein, wenn er in böser Absicht der Mutter die Tochter entriß. Was mochte er mit dem Mädchen vorhaben? Welch eine törichte Frage, dachte Tamino. Was konnte dieser verderbte Priester anderes planen, als das Mädchen zu einer seiner verblendeten Anhängerinnen zu machen?! Vielleicht hatte er es auch auf ihren Körper abgesehen, weil sie so jung und schön war.
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Papageno zirpte noch immer mitleiderregend, als die drei Damen der Sternenkönigin wieder ins Zimmer traten.
»Papageno«, sagte Disa, und der Vogel-Mensch sank in sich zusammen. Tamino konnte beinahe hören, wie er überlegte, welchen grausamen Spaß sie nun mit ihm treiben würden.
Aber Disa bedeutete Papageno mit einer Geste näherzukom-men. Der Vogel-Mann folgte der Aufforderung langsam und zögernd. Er fürchtete offensichtlich mehr die möglichen Folgen des Ungehorsams als die Absichten der drei Damen.
»Ihre Hoheit, die Königin der Nacht, hat dir vergeben«, er-klärte Disa, hielt ihn fest und nahm ihm mit einer schnellen Bewegung den Maulkorb ab. »Hüte dich in Zukunft davor zu lügen und zu prahlen!«
Papageno sprang und tanzte vor Freude, lief dann zur Tafel, wo immer noch die Schüsseln und Platten mit den Resten von Taminos üppigem Mahl standen, nahm sich eine Handvoll Früchte und Kuchen und blickte dann ängstlich auf Tamino.
Tamino winkte ihm aufmunternd zu, und Papageno stopfte sich die Leckerbissen in den Mund. Die Damen beachteten ihn nicht weiter.
»Prinz Tamino, habt Ihr Euch entschlossen, den Auftrag der Königin zu übernehmen?« fragte Disa.
Sie sprach mit beinah ritueller Feierlichkeit. Tamino antwortete ebenso.
»Ja, das habe ich.«
»Dann nehmt das.« Mit diesen Worten reichte sie ihm ein langes Lederfutteral. Der Form nach, dachte Tamino, ist es vermutlich ein Schwert. Und er war dankbar dafür. Schließlich war er auf einer großen Reise und führte keine Waffen mit.
Eifrig löste er die Umhüllung.
Aber es war keine Waffe. Es war… ein langes ausgehöhltes Rohr, mit merkwürdigen Symbolen bemalt und glänzend poliert. Über die ganze Länge zogen sich Löcher, die etwas kleiner waren als seine Fingerspitzen. Tamino überlegte, ob ihm die Verwirrung über dieses seltsame Geschenk im Gesicht geschrieben stand.
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»Seid nicht enttäuscht«, sagte Kamala, »ich, eine Kriegerin, sage Euch, daß ich mich seit langem nach dieser Waffe sehne.
Ich würde mein Schwert, meinen Speer und meinen Bogen dafür geben. Wofür haltet Ihr es?«
»Es sieht wie ein Instrument aus, auf dem die Musikanten meines Vaters spielen.« Tamino überlegte, ob ihr Angebot ernst gemeint war. Sollte er sie beim Wort nehmen? Würde er damit die Königin beleidigen? »Ich muß gestehen, edle Da-me, daß ich nur wenig von Musik verstehe und noch weniger eine Flöte spielen kann. Ich bin zum Jäger und Krieger erzogen worden, nicht zum Sänger oder Musikanten.«
»Diese Flöte werdet Ihr spielen können«, beruhigte ihn Disa,
»denn sie besitzt Zauberkräfte. In Sarastros Reich wird sie Euch mehr nützen als alle anderen Waffen zusammen, denn sie hat Macht über seine verblendeten Sklaven. Und Ihr müßt wissen, er hat das Volk im ganzen Land mit seinem Wahn in Bann geschlagen. Ihr werdet vielleicht sogar feststellen, daß er auch der Prinzessin seinen Willen aufgezwungen hat. Sie ist sehr jung und glaubt möglicherweise an Sarastros angeblich edle Absichten. Vielleicht hat sie gar nicht den Wunsch, sein Reich zu verlassen.«
»Ich werde dafür sorgen, daß sie die Wahrheit erfährt«, versprach Tamino.
»Papageno«, rief Zeshi scharf, »wohin willst du?«
Tamino drehte sich um und bemerkte, daß der Vogel-Mensch versuchte, sich unbemerkt aus dem Gemach zu schleichen.
Er hielt in beiden Händen Kuchen und kandierte Früchte.
Papageno murmelte: »Zurück in meine kleine Hütte im Wald, edle Damen. Hier ist es zu vornehm für mich. Bitte entschul-digt Euren ergebenen Diener. Ich wünsche Euch allen eine gute Nacht. Meinen ergebensten Dank an Eure Herrin, die Königin. Meine Empfehlungen an die Prinzessin Pamina, an den Prinzen und an Euch alle, edle Damen. Schlaft gut und angenehme Träume. Gute Nacht, gute Nacht.« Er blies leise in seine Lockpfeife, drehte sich um und ging zur Tür.
»Komm zurück«, befahl Disa, »ich habe dir noch nicht gesagt, daß du nach dem Willen Ihrer Hoheit den Prinzen Tamino begleiten und zu Sarastro führen wirst. Sei ihm ein guter Diener.«
»Oh,
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