Tochter der Nacht
nein, edle Damen, oh, nein!« Papageno starrte sie entsetzt an. »Oh, nein, ich bin Euer bescheidener Diener. Aber eine solche Ehre kann ich wirklich nicht annehmen! Sarastro wird mich in Stücke reißen und seinen Raubvögeln zum Fraß vorwerfen! Der Prinz verdient einen… einen besseren und mutigeren Diener, als ich es bin. Ich bin doch nur ein Lügner und Aufschneider, das habt Ihr selbst gesagt, Herrin Disa.
Ich bin unwürdig! Weshalb begleitet ihn nicht eine Eurer Wächterinnen, um ihn zu führen?«
»Weil Sarastro meine Wachen sofort erkennen würde«, erwiderte Kamala, »dich hat er noch nie gesehen. Und deshalb bist du in seinem Reich sicher. Fürchte dich nicht, Tamino wird dich beschützen. Wenn ich erfahren sollte, daß du ihm nicht treu gedient hast, wirst du mir Rechenschaft ablegen müssen.«
Papagenos Blick wanderte zwischen Tamino und Disa hin und her. Er konnte sich nicht entscheiden – Tamino hörte fast seine eigenen Gedanken – ob der Vogel-Mann mehr den unbekannten Sarastro oder die Damen fürchtete und das, was sie ihm antun würden, wenn er ihnen nicht gehorchte. Tamino bedauerte ihn, war aber auch nicht böse darüber, daß er auf seinem Weg einen Begleiter haben sollte, und legte dem Halbling den Arm um die Schulter.
»Nur Mut, Papageno, mein Freund«, sagte er, »ich werde dich beschützen. Du kennst diesen Teil der Welt besser als ich. Wir werden uns gegenseitig beschützen.«
»Glaubt Ihr, wir würden den mutigen Streiter unbewaffnet ziehen lassen?« sagte Zeshi freundlich. »Ihre Hoheit hat auch für dich ein Geschenk, Papageno.« Sie überreichte ihm etwas Eingewickeltes. Der Vogel-Mensch packte es neugierig aus.
Zum Vorschein kam ein kleines Glockenspiel. Papageno wollte die Schnur lösen, die verhinderte, daß die Glöckchen unbeabsichtigt läuteten, doch Disa hinderte ihn mit einer Geste daran.
»Nicht jetzt, sondern erst, wenn es die Not verlangt«, erklär-te sie. »Es ist eine wunderbare Waffe. Sie hat Macht über viele aus Sarastros Volk. Binde es an deinen Gürtel und benutze es nur, wenn Gefahr droht, Papageno. Und jetzt ist Zeit zum Aufbruch.«
»Jetzt? In der Dunkelheit?« fragte Papageno kläglich, und Tamino überlegte, ob der Halbling wie die Vögel nachts auf den Zweigen saß. Allerdings hätte er selbst auch lieber in einem ordentlichen Bett geschlafen.
»Ich kenne den Weg in Sarastros Reich nicht«, sagte Tamino. Aber noch während er sprach, schienen sich die Mauern des Palasts in Luft aufzulösen, und er stand auf einem dunklen Weg am Rand eines Waldes. Tamino fragte sich, ob alles nur ein seltsamer Traum gewesen war. Doch nein, neben ihm stand Papageno, der zitterte und bebte, obwohl es nicht kalt war, dann bemerkte Tamino, daß er die Zauberflöte immer noch in der Hand hielt.
»Und was sollen wir jetzt tun, mein Freund Papageno?«
fragte Tamino.
Der Halbling pfiff auf seiner Lockpfeife und antwortete:
»Ich hätte daran denken sollen, ein paar Kuchen und etwas von dem guten Wein mitzunehmen. Aber ich ahnte nicht, daß wir uns so schnell wieder auf den Weg machen würden. Was wir tun sollen? Die Damen haben Euch doch eine Art Zauberwaffe mitgegeben, nicht wahr? Versucht doch, darauf zu spielen, und wir werden sehen, was geschieht. Wenn sie hilft, ist es gut. Wenn nicht, bringt uns die Melodie wenigstens auf andere Gedanken.«
∗ ∗ ∗
»Eine gute Idee.« Tamino konnte sich nicht vorstellen, was die Flöte nutzen sollte. Andererseits verstand er nichts von Magie. Er überlegte, ob die Begegnung vielleicht die erste der unbekannten Prüfungen war, deretwillen er die weite Reise gemacht hatte. Wenn man in das Zauberreich kam
- und dort schien er sich zu befinden –, mußte man bereit sein, dem Unbekannten zu begegnen… das hatte er immer gehört.
Tamino nahm die Flöte aus ihrer Hülle und setzte sie vorsichtig an die Lippen. Er blies sanft hinein und erwartete, einen Mißton zu hören, aber statt dessen erklang eine sanfte, einschmeichelnde und überraschend schöne Melodie. Freudig überrascht spielte er (oder die Flöte?) weiter.
Plötzlich lag ein schwacher goldener Glanz in der Luft.
Tamino blinzelte. Der Weg in der Dunkelheit vor ihm leuchtete, als schwebten dort Glühwürmchen, und dann standen drei Wesen vor ihm.
Er konnte nicht sagen, ob es Knaben oder Mädchen waren.
Sie wirkten zu menschlich, um Halblinge zu sein. Sie waren zart und hatten goldene Haare – oder umgab sie nur ein goldener Glanz? »Wer seid ihr?« fragte Tamino
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