Tochter der Nacht
verblüfft.
»Wir sind die Boten der Wahrheit«, antwortete eines der Wesen – oder sprachen alle drei gleichzeitig? Die Worte klangen sanft und harmonisch, fast wie die Musik der Flöte an seinen Lippen. »Was wollt Ihr von uns?«
»Nun, wenn es Euch nichts ausmacht«, antwortete Papageno, »hätte ich gerne etwas von dem Abendessen im Palast der Königin, das ich nicht beenden konnte.«
»Papageno«, mahnte Tamino freundlich. Doch einer der Boten (oder Botinnen) hob die Hand und machte eine kleine Geste. Es sah beinahe, aber nur beinahe aus, als schnalzte das Wesen mit fast unsichtbaren Fingern. Und eine sanfte singende Stimme sagte: »Jedem wird gegeben, was er im Augenblick braucht.« In Papagenos Hand erschienen ein goldener Becher und ein Teller, auf dem sich Kuchen türmte. »Stille deinen Hunger, mein kleiner Freund. Weisheit wohnt vielleicht nicht in einem vollen Magen, aber in einem leeren war sie auch noch nie zu finden. Und Ihr, Prinz Tamino, was ist Euer Begehr?«
Tamino beobachtete Papageno, der gierig den Kuchen verschlang, und dachte an die Palme mit den vielen Datteln, die im Land der Wandlungen aus dem Nichts aufgetaucht war.
»Im Augenblick brauche ich nichts dringender als einen Führer, der mich in das Land bringt, in dem ein böser Zauberer mit dem Namen Sarastro herrscht.«
»Wer hat Euch von Sarastro erzählt? Und weshalb nennt Ihr ihn einen bösen Zauberer?« fragte der Bote – oder sprachen alle drei gleichzeitig?
»Eine Frau, der grausames Unrecht geschehen ist, hat mir ihr Leid geklagt«, antwortete Tamino.
Papageno flüsterte: »Tamino, das sind gute Leute, soweit ich das nach dem Essen und dem Wein beurteilen kann. Woher sollen sie den Weg in das Haus eines bösen Zauberers kennen? Ist es keine Beleidigung, sie auch nur danach zu fragen?«
»Wenn sie es ablehnen«, antwortete Tamino vernünftig,
»können sie es mir ruhig sagen. Wenn Sarastros Macht sich über alles Volk in dieser Gegend erstreckt, wie die Sternenkö-
nigin uns gesagt hat, werden sie es sicher wissen.« Er sah die Boten zögernd an.
»Könnt Ihr uns zu Sarastro führen?«
»Gewiß, und das wollen wir tun«, erwiderte der Bote – oder antworteten alle drei gleichzeitig? Wie sehr Tamino sich auch mühte, er konnte weder sehen, wie sie die Lippen bewegten, noch erraten, wer von ihnen sprach. »Wenn ihr uns folgt, werdet ihr zu Sarastro kommen und der Wahrheit begegnen, der wir dienen. Hast du dein Mahl beendet, kleiner Freund?«
∗ ∗ ∗
Der Bote griff nach dem leeren Becher, warf ihn in die Luft, und er löste sich in goldenes Glühen auf.
Papageno fragte: »Wie hast du das gemacht?«
»Überlege dir gut, was du fragst«, erwiderte der Bote, »denn eine Frage zu stellen, bedeutet für dich, die Antwort suchen zu müssen… sogar mehr als die Antwort, nämlich die Wahrheit, die hinter der Antwort liegt. Bist du sicher, daß du es wissen möchtest?«
Papageno sah ihn nur verwirrt an. Aber der Bote wartete offensichtlich auf seine Antwort. Schließlich sagte Papageno:
»Ich weiß nicht so recht. Ich bin nicht sehr gut im Rätsel-raten.«
»Eine ehrliche Antwort«, sagte der Bote. Tamino glaubte diesmal fast mit Sicherheit sagen zu können, daß der Bote, der ganz rechts stand, geantwortet hatte. »Seid Ihr auch so aufrichtig, Prinz Tamino?«
Tamino blickte auf die drei leuchtenden Gestalten und sagte schließlich: »Ich weiß nicht, aber ich will es versuchen.«
»Sehr gut«, erwiderte der Bote. Inzwischen sah er aus wie ein blutjunges Mädchen. Die Gestalten und Gesichter schienen sich immer wieder zu verändern und zu verwandeln. »Das ist eine gute Antwort für den Anfang. Also folgt uns.«
Sie wandten sich um, und Tamino folgte den leuchtenden Gestalten auf einem Pfad… Er hätte schwören können, daß dieser Pfad vorher noch nicht dagewesen war.
»Komm, Papageno«, sagte er, »habe keine Angst. Ich glaube nicht, daß sie etwas Böses im Sinn haben. Ich vermute, wenn sie Boten der Wahrheit sind, haben sie die Wahrheit gesagt, als sie versprachen, uns zu Sarastro zu führen.«
»Es ist so dunkel«, erwiderte Papageno zitternd.
»In der Dunkelheit gibt es nichts, was nicht auch bei Tag vor-handen wäre«, versuchte Tamino ihn zu beruhigen und erinnerte sich daran, daß ihm das seine Amme erzählt hatte, als er noch sehr klein war und nachts nach einem Licht verlangte.
Offengestanden fühlte er sich keineswegs mutiger als Papageno. Doch das Schicksal hatte den arglosen Vogel-Mann unter
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