Tochter der Nacht
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falls sie nicht in den Kochtopf wanderten. Aber ein Hasen-Halbling, der nur mummeln konnte… Er war kaum größer als ein drei-oder vierjähriges Kind. Welchen Platz sollte ein solches Wesen am Hof oder im Tempel einnehmen?
Erleuchtung? Nein, Tamino empfand eher Verzweiflung dar-
über, daß solche Kreaturen geschaffen worden waren. Er hatte es nicht getan, aber seine Vorväter, und so traf auch ihn der Vorwurf, daß solche Geschöpfe überhaupt existierten.
Das Elend der Armen und Hungrigen wurde im allgemeinen damit erklärt, daß sie für ihren Lebensunterhalt und ihre Nahrung nicht genug arbeiteten; sie wären nicht fleißig genug, es fehlte ihnen an Geschick oder an Ausdauer, und sie machten sich nicht die Mühe, ihre Lage zu verbessern…
Aber was konnte ein Bär-Halbling mit seinen Tatzen tun? Er konnte nicht einmal ein Feld bestellen und hatte doch menschliche Züge. Sein Geschick bei der Jagd nützte ihm wenig, selbst wenn man voraussetzte, daß sein Herr ihm erlauben würde, sich seinen Lebensunterhalt durch die Jagd zu sichern. Jeder dieser Halblinge war mehr oder weniger entstellt. Weshalb hatten die Menschen von Atlas-Alamesios die Folgen nicht bedacht, ehe sie solche Wesen schufen? Nun waren sie da und drängten sich auf den Stufen dieses heiligen Ortes.
Tamino steckte die Flöte mit zitternden Händen in das Futteral. Die Halblinge gaben leise Laute der Unzufriedenheit von sich; sie knurrten, brummten und winselten, doch keiner be-drohte ihn.
»Schon gut, schon gut«, murmelte Tamino, »für diesmal ist es genug. Vielleicht kann ich ein andermal wieder für euch spielen.« Er konnte nichts für sie tun. Seine Musik bereitete ihnen Vergnügen, doch das änderte nichts daran, daß man sie zu Menschen-Wesen gemacht hatte, die nicht menschlich genug waren.
Ein Halbling nach dem anderen schlich sich davon. Der seltsame kleine Hasen-Halbling blieb als letzter zurück. Zutrau-lich rieb er seinen weichen, flauschigen Körper an Taminos Beinen und sah ihn wehmütig mit seinen rosa Augen an.
Aber schließlich hüpfte auch er davon, und Tamino stand wieder allein auf den Tempelstufen. Er war so aufgewühlt, daß ihm die Suche nach Papageno beinahe widerstrebte, war doch auch Papageno ein Halbling, und er hatte gerade daran gedacht, daß solche Wesen nie hätten geschaffen werden sollen.
War es gerechtfertigt, konnte man je rechtfertigen, eine solche Tragik heraufbeschworen zu haben, nur um so treue Diener wie die Hunde-Halblinge zu haben? Tamino schämte sich, ein Mensch zu sein. Nur Menschen konnten so etwas tun.
Aber, wenn er an Papageno dachte, konnte er denn wirklich wünschen, daß es diesen bezaubernden und komischen Vogel-Mann nie gegeben hätte? Tamino kämpfte mit seinen widerstreitenden Gefühlen und kam zu keinem Schluß. In diesem Augenblick hörte er Papagenos Pfeife.
Alles Theoretisieren, ob Papagenos Dasein berechtigt war oder nicht, erwies sich nun als unerheblich. Er und der Vogel-Halbling befanden sich in derselben mißlichen Lage. Sie hatten sich in Feindesland, in der Umgebung von Sarastros Tempel, beide verirrt. Und wenn Sarastro für die Erschaffung der Halblinge verantwortlich war, die er gerade gesehen hatte, gab es einen Grund mehr, den Priesterkönig zu hassen.
Er, Tamino, war für Papageno verantwortlich.
»Hier bin ich, Papageno«, rief Tamino und rannte auf die Töne zu.
Neuntes Kapitel
Als Monostatos verschwunden war, erhob Pamina sich vorsichtig und bedeutete Papageno, ihr zu folgen. Sie schlichen durch die Gärten und wurden nur von einem harmlosen Hunde-Halbling bemerkt, der schnüffelnd an den Rändern der Rasenflächen entlanglief und kleine Tiere aufstöberte.
Pamina blieb etwas hinter Papageno zurück und bemühte sich, leise zu gehen. Ihre Gedanken kreisten um den unbekannten Prinzen. Es hatte die Tochter der Sternenkönigin bisher nie sonderlich beschäftigt, daß sie sich eines Tages für einen Mann interessieren würde. Aber ihre Mutter hatte diesen Prinzen dazu ausersehen, Pamina zu retten. Rosige, liebliche Bilder stiegen in ihr auf, während sie sich andererseits sehr wohl darüber im klaren war, daß sie an ihren Retter dachte, damit Angst und Furcht Monostatos wegen sie nicht bedrängten. Der fremde Prinz war bislang nur ein angenehmer Tagtraum, Monostatos aber eine wirkliche Bedrohung.
Wenn es stimmte, daß Sarastro ihn zu ihrem Gemahl ausersehen hatte, dann mußte sie unverzüglich von hier weg.
Würde der Prinz sie wieder zu ihrer Mutter
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