Tochter der Träume / Roman
ihnen in der realen Welt fehlte.
»Auch über dich habe ich gewacht, nachdem du gegangen warst.«
Mein Herz tat einen Satz, und mein ganzer Körper verkrampfte sich für einen Moment. »Wie?« Ich hatte Mauern um mich errichtet. Mir eine eigene Welt erschaffen.
Milde lächelnd sah sie mich an. »Dein Vater ist der Herr dieser Welt. Dachtest du wirklich, du könntest ihn fernhalten? Er hat dich nur nicht gezwungen, zu uns zurückzukehren, weil er wusste, dass wir dich dann für immer verlieren würden.«
Ich schluckte. Und ich hatte mich für so wahnsinnig schlau gehalten, so rebellisch. Ich schuldete ihr keine Erklärung, gab ihr aber trotzdem eine. »Ich wollte einfach nur normal sein. Wollte nicht sein, was ich bin.«
Sie seufzte. »Mein Liebling, du kannst nicht davonlaufen. Die Mauern, die du um dich errichtet hast, ändern nichts, sie verdrängen es nur.«
»Du musst mich nicht daran erinnern.« Ich hatte viel zu sehr versucht, meine Herkunft zu verleugnen, und nun musste ich dafür bezahlen. Hatte Karatos mich gerade deshalb gefunden? Weil meine Mauern nicht stark genug waren? Oder hatte er mich einfach nur in Ruhe beobachtet und sich einen Weg durch meine brüchige Abwehr gesucht?
Oder hatte ihm vielleicht jemand noch viel Stärkeres geholfen und die Feinde meines Vaters planten ein Komplott? Und hatte Karatos deshalb von »uns« gesprochen? War ich nur eine Schachfigur, um an Morpheus heranzukommen?
Und wie viel von alledem wusste meine Mutter? Nicht viel, jede Wette. Aber das war auch besser so. Sie würde vor Sorge vergehen, wenn sie wüsste, dass mir jemand etwas antun wollte, nur um sich an ihrem Geliebten zu rächen. Und Morpheus schien mir der Typ Beschützer zu sein, der ihr lieber nicht zu viel erzählte. Doch Mum deshalb zu vergeben und ihr einen Heiligenschein zu verpassen, so weit war ich noch lange nicht.
Sie streckte eine schmale Hand aus, um meine, die viel größer war, zu tätscheln. Alles an ihr war zart. Dass sie einen solchen Brocken wie mich überhaupt hatte gebären können, grenzte an ein Wunder. Es musste an den unsterblichen Genen liegen.
»Ich liebe dich«, sagte sie nüchtern. »Und du wirst immer mein kleines Mädchen bleiben, ganz egal, was geschieht.«
O Gott! Ich konnte nicht mehr schlucken, und meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich konnte auch nichts sehen, weil Tränen in meinen Augen brannten. Nicht jetzt. Bitte nicht
jetzt
, verdammt!
Als hätte er mein Stoßgebet gehört, beschloss mein Vater, just in diesem Augenblick zu erscheinen. Er kam nicht etwa durch ein Portal, wie ich, oder durch die Zimmertür. Er schien förmlich aus dem Nichts aufzutauchen, bewegte sich nicht in der Welt, sondern war vielmehr ein Teil von ihr.
»Ich hatte schon gefühlt, dass du hier bist«, sagte er zum Gruß, während er sich zwei Sandwiches vom Teller schnappte und sie mit einem Happen verspeiste.
»Hast du Karatos gefunden?« Ich wusste, dass diese Frage eigentlich überflüssig war, denn hätte er ihn gefunden, dann wüsste ich es.
»Nein. Wir waren ihm ein paar Mal dicht auf den Fersen, doch dann hat er seine Tarnung gewechselt. Aber keine Sorge, er wird sich früher oder später zeigen.«
Ich rang mir ein schiefes Lächeln ab. »Und wenn es so weit ist, stehst du bereit?«
Morpheus lächelte, was mich an einen zähnefletschenden Wolf erinnerte, ohne Humor, aber voller Erwartung. »Wie geht es deinem Freund?«
Es schien ihm zu widerstreben, Noah bei seinem Namen zu nennen. »So weit ganz gut.«
Morpheus legte den Kopf zurück und schnupperte, wie jemand, dem der Duft von frisch gebackenem Kuchen in die Nase stieg. »Ich spüre seine Gegenwart nur gedämpft. Du hast ihn überredet, etwas einzunehmen, um unserer Welt fernzubleiben.«
Mit den Schlafmitteln war das so eine Sache. Eine geringe Dosis war gut, um die REM -Phase zu unterdrücken, doch gelegentlich bewirkten sie merkwürdige oder wunderschöne Träume, weshalb das Morphin nach meinem Vater benannt worden war.
»Ich hatte keine Wahl«, erklärte ich. »Hier ist er nicht sicher, solange Karatos vorhat, Besitz von ihm zu ergreifen.«
Meine Eltern sahen mich fragend an. »Was meinst du damit?«, fragte meine Mutter, während sie Morpheus eine Tasse Tee eingoss. Bis dahin hatten nur zwei Tassen auf dem Tisch gestanden. Jetzt waren plötzlich drei da.
Ich sah meinen Vater an. »Du weißt, was ich meine, stimmt’s?«
Mit versteinerter Miene sah er mich an. »Du hast wieder mit Jones gesprochen, nicht wahr?«
»Du
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