Tochter der Träume / Roman
verstehen, aber in meinem verstörten Zustand klang es wie: DU . GEHÖRST . HIER . NICHT . HER .
Ja. Das wusste ich. Die Frage war bloß, woher, zum Teufel, wusste er davon?
Ich war sechs Jahre alt, als meine Mutter mir zum ersten Mal erzählte, dass ich ein Traum sei, ein dunkler Traum der Nacht. Ich fing an zu weinen, weil ich dachte, sie wäre böse mit mir. Doch dann nahm sie mich auf den Schoß und erzählte mir, dass ich etwas ganz Besonderes sei, da kein anderes Kind auf dieser Welt den König der Träume zum Vater hätte. Sie erzählte mir, dass ich träumen könne, was ich wollte, und in meinen Träumen auch tun könne, was ich wollte. Und ich glaubte ihr.
Ich fragte meinen Dad, wie es so sei, der Herr der Träume zu sein, doch er wusste nicht, wovon ich sprach. Kurze Zeit später fand ich heraus, dass er gar nicht mein Vater war. Mein richtiger Vater war der Mann, der in meinen Träumen mit mir spielte und der meiner Mutter ein zärtliches Lächeln ins Gesicht zauberte. Der Mann, den ich meinen Dad nannte, sah mich häufig an, als würde er mich gar nicht kennen. Und meine Mutter sah er an, als wisse er, dass er dabei war, sie an einen Mann zu verlieren, mit dem er nicht mithalten konnte.
Kein Wunder also, dass ich das Reich der Träume der echten Welt vorzog. Zugegeben, es gab in diesem Reich – der Traumwelt – auch Gefilde, vor denen mich mein Vater Morpheus warnte, denn offenbar ließ mein Onkel Icelus einige seiner »Geschöpfe« frei umherwandern. Da in Icelus’ Reich alles Verstörende und Beängstigende wohnte, hörte ich auf meinen Vater und wagte mich nie aus seinem Schloss hinaus, aus Angst vor den Monstern und dem, was sie mit mir anstellen würden. Auch wusste ich, dass ich mich vor dem gespenstischen Nebel in Acht nehmen musste, der das Reich der Träume umwaberte.
Ansonsten schien mir meine Kindheit lange Zeit völlig normal zu sein, bis ich in der neunten Klasse merkte, dass etwas nicht stimmte. Dass mit
mir
etwas nicht stimmte. Bis dahin war mir nie aufgefallen, dass ich anders war, obgleich meine Mutter es mir oft genug gesagt hatte. Jedenfalls hielten die meisten Menschen ihre Träume nicht für etwas Reales und schienen ihnen auch keinerlei Bedeutung beizumessen.
In meine Klasse ging eine gewisse Jackey Jenkins, die mich stets gnadenlos schikanierte. Sie war zierlich, blond, stets sonnengebräunt und topmodisch gekleidet. Ich dagegen war groß, hatte üppige Kurven und war weiß wie ein Gespenst. Im Unterricht meldete sie sich eifrig, ich dagegen gab nur Antwort, wenn ich aufgerufen wurde. Trotzdem hatte ich die besseren Noten. Heute weiß ich, dass sie nur neidisch war und dass es sie maßlos ärgerte, büffeln zu müssen, während mir alles zuzufliegen schien. Obwohl ich das genaue Gegenstück zu ihr war, hatte auch ich Freunde in der Klasse, und eigentlich mochten mich alle, wenn sie mich erst einmal kannten – vor allem die Lehrer. Insofern konnte Jackey gar nicht anders, als mir das Leben zur Hölle zu machen.
Eines Tages bekam ich mitten im Unterricht völlig unerwartet meine Regelblutung. Mit meiner Jacke um die Hüfte harrte ich den restlichen Vormittag aus, doch als ich in der Mittagspause nach Hause gehen wollte, um mich umzuziehen, riss Jackey mir mit einem Ruck die Jacke hoch und zeigte unseren Mitschülern (natürlich war fast die ganze Schule versammelt, wie könnte es auch anders sein?) meine Kehrseite. Alle lachten. Nein, nicht alle. Aber viele.
Ich war so wütend, so gedemütigt, dass mir Tränen in die Augen traten, was Jackey köstlich amüsierte. Ich weiß noch genau, wie ich ihr drohte, dass ich es ihr heimzahlen würde.
Und das tat ich – mit einem
Carrie
-Auftritt, der es in sich hatte. In jener Nacht begab ich mich in Jackey Jenkins’ Träume und quälte sie, wie es nur Mädchen im Teenageralter können. Danach war sie nicht etwa netter zu mir. Nein, sie hatte nun Angst vor mir und hasste mich noch mehr. Das Gefühl der Genugtuung wollte sich nicht wie erhofft bei mir einstellen, zumal ich Jackeys Miene bei jeder Begegnung ablesen konnte, dass sie mich für ein Monster hielt.
Kurz darauf erfuhr ich, dass sie sich in psychiatrische Behandlung begeben hatte, weil sie sich abends vor dem Einschlafen fürchtete. Außerdem hatte sie dunkle Augenringe bekommen und sah dadurch immer weniger hübsch aus. Irgendwann schien es ihr wieder besserzugehen, was ich von mir aber nicht behaupten konnte.
Normale Menschen begaben sich nicht in anderer Leute
Weitere Kostenlose Bücher