Tochter der Träume / Roman
schob sich näher an mich heran. Als er die Arme nach mir ausstreckte, schmiegte ich mich nur allzu gern hinein, denn das brauchte ich jetzt.
»Wo warst du?«, fragte er und zog mich dichter zu sich heran, so dass er sich enger an mich schmiegen konnte.
»Nur schnell etwas trinken.« Das war keine Lüge, sondern nur nicht die ganze Wahrheit. Durst hatte ich ja wirklich gehabt.
»Ich dachte schon, ich hätte dich verloren.« Seine Stimme war ein warmes Murmeln an meiner Haut.
»Nein«, sagte ich und kuschelte mich fester an ihn. »Du wirst mich nicht verlieren.«
Und ich dich auch nicht
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Kapitel 20
I ch hasste es, Geheimnisse für mich behalten zu müssen, und so hielt ich normalerweise nie lange dicht, sosehr ich mich auch bemühte. Sicher, dass ich ein Traumwesen war, verschwieg ich ganz gut, aber das war purer Selbstschutz. Wer würde schon zu einer Psychologin gehen, die von sich behauptete, halb unsterblich zu sein?
Geheimnisse hingegen rutschten mir einfach heraus. Und wenn ich jemanden, von dem ich sicher war, dass er es niemals verraten würde, in ein Geheimnis eingeweiht hatte, bekam ich anschließend ein schlechtes Gewissen, weil ich es ausgeplaudert hatte.
Was meine Patienten mir erzählten, war natürlich etwas völlig anderes, ihre Geheimnisse zu hüten gehörte zu meinem Job. Zugegeben, gelegentlich sprach ich über den einen oder anderen Patienten, aber ich erwähnte keine Namen. Und schon gar nicht, um zu tratschen, denn das käme einem Verrat gleich.
Wenn es aber um ein persönliches Geheimnis ging, nahm ich es meist weniger genau und wollte mich am liebsten mitteilen. Kein Wunder also, dass es mir schwerfiel, Details aus meinem Leben unter Verschluss zu halten. So hatte ich meinem Vater nichts von der Sache mit meinen Augen erzählt. Und Noah konnte ich unmöglich etwas davon sagen, dass mein Vater ihn als Köder für Karatos benutzen wollte. War es da verwunderlich, dass es in mir rumorte, weil ich nicht einmal einen Teil des Ganzen loswerden konnte?
»Alles in Ordnung, meine Liebe?«, fragte mich Bonnie am Donnerstag bei der Arbeit. »Du wirkst ein wenig nervös.«
Ich winkte ab. »Ausgezeichnet. Ich bin nur müde und habe wahrscheinlich zu viel Koffein intus.« Auch jetzt kam ich gerade wieder von einer meiner Kaffeerunden zurück und brachte Bonnie, Jose sowie einem der Studenten aus dem Labor ihre Bestellungen mit. Ausgerechnet in diesem Moment lief mir Dr.Canning über den Weg.
»Dawn«, sagte er mit strenger Miene. »Kann ich Sie sprechen?«
Oh Gott. »Sicher.«
Wir gingen in mein Büro, ich voran, wie ein Schulkind auf dem Weg zum Rektor. Doch kam ich ohne Umschweife auf den Punkt, kaum dass ich die Tür hinter mir zugemacht hatte. »Gibt es ein Problem, Dr.Canning?«, fragte ich und nahm den Deckel von meinem Kaffeebecher ab.
Er musterte mich missbilligend. »Sie waren am Dienstag krank?«
Lügengeschichten erzählen war wiederum etwas anderes als Geheimnisse wahren. Im Flunkern war ich große Klasse. »Ja, Sir. Ich habe fast den ganzen Tag im Bett gelegen.«
»Und Sie waren nicht am Nachmittag auf der Fifth Avenue unterwegs? Eine der Praktikantinnen aus dem Labor hätte schwören können, Sie dort gesehen zu haben.«
Darauf ging ich jede Wette ein. Kaum auszuhalten, wie hinterhältig es hier zuging! Jeder dahergelaufene Praktikant war scharf auf meinen Job. In knapp einer Woche würden sie sich alle darum schlagen können. Wahrscheinlich war es dieses Gefühl von Endgültigkeit, das mich ausprechen ließ, was ich dachte.
»Haben Sie diese ganze Arschkriecherei nicht irgendwann mal satt?«, fragte ich.
Dr.Canning blinzelte, die fahlen Augen groß vor Schreck. »Wie bitte?«
»Ärgert es Sie nicht, dass sich ein Haufen Leute ständig bei Ihnen einschleimen will, indem sie schlecht über andere reden? Ich war krank, Dr.Canning. Und wenn mich jemand auf der Fifth Avenue gesehen hat, dann deshalb, weil ich zu einem Arzt ging, um mir ein Rezept ausstellen zu lassen.«
Er versteifte sich. Zweifelsohne war er es nicht gewohnt, dass man ihm mit so offensichtlicher Geringschätzung begegnete, schon gar nicht von Seiten einer Angestellten.
»Haben Sie das Rezept dabei?«
»Ich habe es daheim.« Die Lüge ging mir leicht über die Lippen, und ich war viel zu wütend, um deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben. »Es ist ein Antibiotikum, das ich zweimal täglich einnehmen muss. Wenn Sie wollen, gehe ich nach Hause und hole es. Sie können Ihre kleine Freundin vom Labor
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