Tochter Der Traumdiebe
nicht damit verbunden gewesen wäre, die ganze Wand einzureißen. Ein Stück barbarischen Unfugs mit vorgeblich alchemistischen Motiven und einem dunklem Spruch, der, wie ich ihn las, früher einmal etwas ganz anderes bedeutet hatte, als man heute meinte. »Halten Sie sich immer noch an diesen Leitspruch, Herr Graf?«
»Mit diesem Wahlspruch sind sogar noch mehr Geschichten verknüpft als mit dem Schwert. Wie Sie sicher wissen, hat uns unser Familienfluch, der Albinismus, zeitweise zum Nachteil gereicht. Manche meiner Vorfahren hielten ihn für eine Schande und zerstörten viele Aufzeichnungen, soweit diese mit Albinos wie mir zu tun hatten, oder vielleicht auch nur mit Dingen, die jener Geisteshaltung, für die das Verbrennen von Büchern mit dem Verbrennen unangenehmer Wahrheiten gleichbedeutend ist, in der geringsten Weise seltsam vorkam. Eine Haltung, zu der wir in Deutschland leicht zu neigen scheinen. Daher gibt es heute kaum noch Aufzeichnungen. Ich glaube mich jedoch zu erinnern, dass der Spruch in gewisser Weise ironisch gemeint war.«
»Vielleicht.« Eine Ironie, die Klosterheim zu würdigen wusste, musste anscheinend von schwerstem Kaliber sein. »Doch wie ich hörte, haben Sie den Kelch verloren. Den Gral.«
»Mein lieber Herr Leutnant, in Deutschland gibt es keine einzige alteingesessene Familie, die nicht mindestens eine eigene Gralslegende kennt. Gewöhnlich geht es dabei um irgendeinen alten Pokal, bei dem es sich in Wirklichkeit um den Heiligen Gral handeln soll. In England sieht es nicht anders aus. Arthur hatte mehr Camelots als Mussolini Titel. Es sind allesamt Erfindungen aus dem neunzehnten Jahrhundert, nichts als Facetten der Rückbesinnung auf die Gotik. Eine romantische Bewegung, eine Nation erfindet sich noch einmal selbst. Sie müssen ein halbes Dutzend solcher Familienlegenden kennen. Wolfram von Eschenbach behauptete, der Gral bestehe aus Granit. Nur wenige Spuren lassen sich bis in die Zeit vor 1750 zurückverfolgen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Ihr Führer, nachdem Sie Wagner für die Sache der Nazis rekrutiert haben, solche Symbole braucht, aber falls wir wirklich einen alten Kelch hier hatten, dann ist er schon vor langer Zeit verschwunden.«
»Auch ich bin der Ansicht, dass solche Ideen lächerlich sind.« Gaynor trat etwas näher ans Feuer. »Doch mein Vater erinnert sich noch, dass dein Großvater ihm eine goldene Schale gezeigt hat, die die Eigenschaften von Glas und Metallen in sich verband. Warm anzufassen, sagte er, und pulsierend.«
»Falls es ein solches Familiengeheimnis gibt, Vetter, dann wurde ich nicht eingeweiht. Mein Großvater ist kurz nach dem Waffenstillstand gestorben. Er hat mich nie ins Vertrauen gezogen.«
Klosterheim runzelte die Stirn, offenbar unsicher, ob er mir glauben konnte. Gaynor zeigte seinen Unglauben ganz offen. »Wenn überhaupt, dann bist du selbst unter allen Beks derjenige, der von solchen Dingen wissen müsste. Dein Vater ist wegen seiner Forschungen gestorben. Du hast alles gelesen, was in der Bibliothek zu finden ist. Von Asch hat dich gelehrt, was er wusste. Du selbst, mein Vetter, bist beinahe ein Bestandteil des Museums. Zweifellos immer noch eine bessere Aussicht als der Zirkus.«
»Wie wahr«, erwiderte ich. Mit einem Blick zur grässlichen alten Kaminuhr bat ich, mich zu entschuldigen. Es sei an der Zeit, mich zurückzuziehen.
Gaynor wollte sich durch Artigkeiten aus der Peinlichkeit herauswinden, mich gedankenlos beleidigt zu haben, aber seine Bemerkung über mich war nicht beleidigender gewesen als der Rest der Unterhaltung mit ihm und Klosterheim. Er hatte etwas Ungeschliffenes an sich, das ich früher nicht bemerkt hatte. Zweifellos färbte der Duft der neuen Meute auf ihn ab. Es war seine Art, sein Überleben zu sichern.
»Aber wir haben noch das Geschäftliche zu erledigen«, wandte Klosterheim ein.
Gaynor drehte sich zum Feuer um.
Ich spielte den Überraschten. »Geschäftliches? Sie sind geschäftlich hier?«
Gaynor antwortete leise, ohne mich anzusehen. »Berlin hat eine Entscheidung getroffen, was diese besonderen deutschen Relikte betrifft.«
»Berlin! Du meinst Hitler und seine Kumpane.«
»Sie sind von solchen Dingen fasziniert, mein Vetter.«
»Es sind Symbole unserer alten deutschen Macht«, ergänzte Klosterheim unwirsch. »Sie repräsentieren das, was so viele deutsche Adlige verloren haben, das Lebensblut eines tapferen, kriegerischen Volkes.«
»Und warum will man mir mein Schwert
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