Tochter Der Traumdiebe
wegnehmen?«
»Um es sicher aufzubewahren, mein Vetter.« Gaynor stellte sich zwischen mich und Klosterheim, bevor dieser antworten konnte. »Beispielsweise, damit es nicht von den Bolschewiken gestohlen oder irgendwie beschädigt wird. Ein Staatsschatz, wie du mir sicherlich zustimmen wirst. Dein Name wird natürlich in Ausstellungen genannt werden, und ich bin sicher, dass es auch eine finanzielle Entschädigung geben wird.«
»Ich weiß nichts über den so genannten Gral. Aber was würde geschehen, wenn ich mich weigere, das Schwert zu übergeben?«
»Damit würdest du natürlich zum Staatsfeind werden.« Gaynor war so anständig, wenigstens die blank polierten Stiefel anzustarren. »Dadurch würdest du auch zum Feind der Nazipartei und vom allem, wofür sie eintritt.«
»Ein Feind der Nazipartei«, sagte ich nachdenklich. »Nur ein Narr würde Hitler ärgern und hoffen, er könne dies überleben, nicht wahr?«
»Allerdings, mein Vetter.«
»Nun denn«, sagte ich und machte Anstalten, den Raum zu verlassen, »die Beks sind keine Narren. Ich will das Problem überschlafen.«
»Ich bin sicher, dass deine Träume dir den Weg weisen werden«, bemerkte Gaynor etwas geheimnisvoll.
Klosterheim war offener. »Wir haben im modernen Deutschland die sentimentalen Gefühle hinter uns gelassen und schreiben uns neue Überlieferungen, Herr Graf. Dieses Schwert gehört so wenig Ihnen wie mir. Das Schwert gehört Deutschland, denn es ist ein Symbol unserer alten Macht und Tapferkeit, ein Symbol unseres Blutes. Sie können unser Blut nicht verraten.«
Ich betrachtete dieses Ergebnis bergländischer Inzucht und den slawischen Arier. Ich betrachtete meine knochenbleiche weiße Hand, die hellen Nägel und die etwas dunkleren Adern. »Unser Blut? Mein Blut. Wer hat den Mythos des Bluts erfunden?«
»Mythen sind einfach alte Wahrheiten, die man in Geschichten gekleidet hat«, erklärte Klosterheim. »Das ist das Geheimnis hinter Wagners Erfolg.«
»Seine Musik kann es kaum sein. Schwerter, Kelche und gequälte Seelen. Sagten Sie nicht, es sei ein Paar von Schwertern? Will der Besitzer der Schwesterklinge die beiden vereinen?«
Gaynor, der jetzt wieder hinter Klosterheim stand, übernahm das Antworten.
»Es heißt, mein Vetter, das zweite Schwert sei in Jerusalem gewesen, als man das letzte Mal von ihm hörte.«
Ich konnte nicht umhin zu lächeln, als ich ins Bett ging. Aber bald kehrten die bösen Vorahnungen zurück, und als ich meinen Kopf aufs Kissen legte, fragte ich mich ernstlich, wie ich mein Schwert und mich selbst vor Hitler retten konnte. Dann, in einem jener seltsamen Momente zwischen Wachen und Träumen, hörte ich eine Stimme sagen: »Natürlich akzeptiere ich das Paradoxe. Die Paradoxie ist der Stoff, aus dem das Multiversum besteht. Das Wesen der Menschheit. Das Paradoxe erhält unser Leben.« Es klang wie meine eigene Stimme, doch ich hörte darin eine Autorität, eine Zuversicht und eine Kraft, wie ich sie nie in mir gespürt hatte.
Zuerst dachte ich, es wäre jemand im Zimmer, aber dann schlief ich ein und schreckte wieder auf, als mir ein bemerkenswerter Gestank in die Nase drang. Es war stechend, beinahe greifbar, aber nicht unangenehm. Scharf und trocken. Vielleicht der Geruch von Schlangen? Oder von Eidechsen? Der Geruch riesiger Reptilien. Wesen, die im Verband unter der Kontrolle von Sterblichen flogen und feuriges Gift auf ihre Feinde spieen. Auf Feinde, die durch keinerlei Regeln gebunden waren, abgesehen von der, um jeden Preis zu siegen, mit welchen Mitteln auch immer.
Dunkelblaue Muster sah ich - wie auf gewaltigen Schmetterlingsflügeln. Es war ein Traum vom Fliegen, doch anders als alle solche Träume, von denen ich bisher gehört hatte. Ich saß in einem riesigen schwarzen Sattel, der offenbar aus einem einzigen Stück Ebenholz geschnitzt war, der sich aber dennoch fugenlos an meinen Körper schmiegte und von dem eine Art Aura auszugehen schien, die sich ebenso nahtlos mit dem Lebewesen verband. Ich beugte mich vor und legte die Hand auf die Schuppenhaut. Sie fühlte sich warm an, ein Anzeichen dafür, dass es sich um ein Geschöpf mit fremdartigem Stoffwechsel handelte, und vor mir stieg etwas hoch, rasselnd und klappernd und mit Geschirren klingelnd, und warf einen riesigen Schatten. Es war der gewaltige Kopf eines Wesens, das ich zunächst für einen Dinosaurier hielt und dann als Drachen erkannte. Wie ein Zwerg erschien ich vor diesem gewaltigen Wesen. Im Maul trug es verzierte
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