Tochter Der Traumdiebe
hinunterschauen konnten wie auf eine ausgebreitete Landkarte. Ich empfand eine unbeschreibliche Mischung aus Entsetzen und Überschwang. So stellte ich mir die Träume der Opium- oder Haschischesser vor. Ohne Ende.
Ohne Bedeutung. Eine brennende Welt. Eine kriegerische Welt. Eine Welt, die meine eigene hätte sein können, meine Welt des zwanzigsten Jahrhunderts. Doch ich wusste, dass dem nicht so war. Armeen und Flaggen, Armeen und Flaggen. Und hinter ihnen türmten sich die Leichen der Unschuldigen, in deren Namen die Flaggen gehisst und die Armeen in den Krieg geschickt worden waren. Um bis zum Tod zu kämpfen und die Ehre der Toten zu verteidigen.
Als sich die Wolken endlich teilten, sah ich, dass der Himmel voller Drachen war. Eine ganze Schwadron fliegender Reptile, deren Spannweite mindestens dreißig Fuß betrug und auf denen winzigkleine Reiter saßen. Eine Flugstaffel, die gelassen in der Luft kreiste und abwartete, dass ich die Führung übernahm.
Erschrocken wachte ich auf und blickte in die kalten Augen Leutnant Klosterheims.
»Verzeihen Sie bitte, Graf von Bek, aber wir wurden dringend nach Berlin gerufen und müssen augenblicklich aufbrechen. Ich dachte, Sie haben uns vielleicht noch etwas zu sagen.«
Verwirrt durch meinen Traum und zornig auf Klosterheims rücksichtsloses Eindringen sagte ich ihm, wir könnten gleich unten sprechen.
Im Frühstückszimmer, in dem einer meiner alten Diener sich mit glasigen Augen bemühte, die Gäste so gut wie möglich zu bewirten, speisten diese bereits Schinkenbrote und riefen nach Eiern und Kaffee.
Gaynor schwenkte die Kaffeetasse, als ich den Raum betrat. »Mein lieber Freund, wie schön, dass du uns Gesellschaft leisten kannst. Wir haben Nachricht aus Berlin bekommen, dass wir sofort zurückkehren müssen. Es tut mir Leid, dass ich ein so undankbarer Gast bin.«
Ich fragte mich, wie er eine solche Nachricht überhaupt erhalten hatte. Vielleicht hatten sie sogar ein eigenes Funkgerät im Wagen.
»Nun ja«, antwortete ich. »Dann müssen wir uns eben wieder mit unserer eintönigen Beschaulichkeit abfinden.«
Ich wusste genau, was ich tat. Ich sah Zorn in Klosterheims Augen aufblitzen. Er lächelte verkrampft, als er den Tisch anstarrte.
»Was ist nun mit dem Schwert, mein Vetter?« Gaynor wies den Diener ungeduldig an, ihm die Eier abzupellen. »Bist du bereit, es der Obhut des Staates zu übergeben?«
»Ich glaube nicht, dass es von großem Wert für den Staat ist«, wandte ich ein, »während es für mich ein wichtiges Erinnerungsstück ist.«
Gaynor machte ein finsteres Gesicht und stand auf. »Mein lieber Vetter, ich spreche nicht für mich selbst, aber falls Berlin hören sollte, was du gesagt hast… dann könntest du nicht nur dein Schwert verlieren, sondern auch dein Heim, in dem du es aufbewahrst.«
»Nun ja«, sagte ich, »ich bin ein altmodischer Deutscher. Ich glaube, dass Pflicht und Ehre schwerer wiegen als persönliche Wünsche. Hitler ist dagegen Österreicher und daher von jener unbekümmerten, toleranten Natur, die wenig auf solche Dinge gibt, wie ich sicher glaube.«
Gaynor begriff meine Ironie sofort; er schien sie sogar zu genießen. Aber Klosterheim war schon wieder wütend, das konnte ich sehen.
»Könnten wir uns das Schwert wenigstens einmal ansehen, mein Vetter?«, fragte Gaynor. »Einfach nur um uns zu vergewissern, ob es auch dasjenige ist, das man in Berlin sucht. Vielleicht ist es ja sogar die falsche Klinge.«
Ich war keinesfalls bereit, mich oder das Schwert in Gefahr zu bringen. So absurd die Vorstellung auch schien, ich glaubte, mein Vetter und sein Leutnant wären am Ende fähig, mir einen Schlag auf den Kopf zu versetzen, um mir das Schwert zu rauben, sobald ich es ihnen zeigte.
»Ich werde es euch gern zeigen«, sagte ich. »Sobald es aus Mirenburg zurückkommt, wo ich es bei einem Verwandten von Aschs zurückließ, damit es gereinigt und restauriert werden kann.«
»Von Asch? In Mirenburg?« Klosterheim schien beunruhigt.
»Ein Verwandter«, erklärte ich. »In Baudissingaten. Kennen Sie den Mann?«
»Von Asch ist doch verschwunden, oder?«, unterbrach Gaynor.
»Ja. Gleich in den ersten Tagen des Krieges. Er wollte eine gewisse irische Insel aufsuchen, wo er für ein Schwert, das er zu schmieden beabsichtigte, Metall mit ganz besonderen Eigenschaften zu finden hoffte. Ich fürchte, er war zu alt für diese Reise. Wir haben nie wieder von ihm gehört.«
»Hat er nie etwas über das Schwert
Weitere Kostenlose Bücher