Tochter Der Traumdiebe
erzählt?«
»Einige Legenden, mein Vetter. Doch ich kann mich kaum an sie erinnern. Sie schienen nicht sonderlich bemerkenswert.«
»Von einem Pendant hat er nichts gesagt?«
»Kein Sterbenswörtchen. Ich glaube nicht, dass unsere Klinge diejenige ist, die ihr sucht.«
»Allmählich bekomme ich den Verdacht, dass dies tatsächlich zutreffen könnte. Ich werde mich bemühen, deinen Standpunkt in Berlin entsprechend vorzutragen, doch es wird schwierig sein, ihn in günstigem Licht zu schildern.«
»Sie haben sich auf den Geist des alten Deutschland berufen«, sagte ich. »Sie wären gut beraten, diesen Geist zu achten, statt ihn zu verfremden, bis er ihrem brutalen Wesen entspricht.«
»Vielleicht wäre es auch klug, solche an Hochverrat grenzenden Bemerkungen zu melden, bevor wir noch irgendwie selbst von ihnen beeinflusst werden.« Klosterheims seltsam kalte Augen flackerten, als würde sich ein Feuerschein in Eis spiegeln.
Gaynor wollte die Drohung abmildern. »Ich möchte dich auch daran erinnern, mein Vetter, dass der Führer jedem, der unserer Nation ein solches Geschenk macht, sehr gewogen ist.« Er wirkte etwas zu begeistert und zeigte damit ganz im Gegenteil seine Verzweiflung. Er räusperte sich. »Damit könnte jede Mutmaßung zerstreut werden, dass du, wie so viele deines Standes, das neue Deutschland verraten willst.«
Ohne es selbst zu bemerken, hatte er begonnen, die Sprache der Täuschung und Vernebelung zu sprechen. Die Art von Zweideutigkeiten, die immer einen Mangel an moralischer und intellektueller Redlichkeit verrät. Was auch immer er mir erzählt hatte, in seinem Innern war er längst ein Nazi.
Ich brachte sie zur Tür und blieb auf der Treppe stehen, als ihr Fahrer den Mercedes vorfuhr. Es war noch dunkel, am bleichen Horizont stand eine schmale Mondsichel. Ich sah dem schwarzen, mit Chrom verzierten Wagen nach, als er langsam über die Zufahrt bis zum alten Tor rollte, auf dessen Pfeilern verwitterte Skulpturen standen. Feuerdrachen. Sie erinnerten mich an meinen Traum.
Sie erinnerten mich, dass mein Traum erheblich weniger schrecklich gewesen war als die derzeitige Realität.
Ich fragte mich, wann ich die nächsten Nazi-Gäste empfangen musste und ob sie sich ebenso leicht würden abweisen lassen wie Gaynor und Klosterheim.
3. Fremde Besucher
Noch am gleichen Abend bekam ich einen Anruf von der geheimnisvollen ›Gertie‹. Sie forderte mich auf, gegen Sonnenuntergang zum Fluss hinunterzugehen, der unser Land im Norden begrenzte. Dort würde irgendjemand Verbindung mit mir aufnehmen. Die Luft war frisch und angenehm und ich genoss es, durch den leicht hügeligen Park zur kleinen Brücke zu laufen, über die ein schmaler öffentlicher Weg führte. Heute mit einem Tor abgesperrt, hatte dieser Weg einst den wichtigsten Zugang zur Stadt Bek dargestellt. Die Wagenspuren waren zu kleinen Gebirgszügen gefroren. Heute wurde dieser Weg kaum noch benutzt. Nur selten sah man hier ein Liebespaar oder einen alten Mann, der seinen Hund spazieren führte.
Es war die Scheidelinie zwischen Tag und Nacht, ein schwacher Dunst stieg vom Fluss auf. Jenseits der Brücke tauchte eine große Gestalt auf und wartete geduldig, dass ich das Tor aufsperrte. Ich beeilte mich und winkte, um mich zu entschuldigen. Irgendwie hatte ich den Mann nicht kommen sehen. Ich öffnete das Tor und bat ihn auf mein Land. Er trat rasch hindurch, dicht gefolgt von einer zweiten Gestalt, die ich zuerst für einen Leibwächter hielt, da sie einen Langbogen und einen Köcher mit Pfeilen trug.
»Sind Sie Gerties Freunde?«, fragte ich, wie es abgesprochen war.
»Wir kennen sie gut«, antwortete die Bogenschützin. Die Stimme der Frau klang tief und befehlsgewohnt. Das Gesicht hatte sie gegen die Abendkälte mit einer Kapuze geschützt.
Nun trat sie aus dem Schatten des großen Mannes heraus und nahm meine Hand. Ein starker und doch weicher, trockener Händedruck. Das Tuch ihres Umhangs und das Hemd darunter schimmerten auf eine seltsame Weise, die Farbgebung war ungewöhnlich. Ich fragte mich, was dieser eigenartige Aufzug zu bedeuten hatte. Sie hätte eine germanische Halbgöttin in einem dieser ewig langen Volksstücke sein können, deren Aufführungen die Nazis überall ermunterten. Ich lud sie ins Haus ein, doch der Mann lehnte ab. Dunkelheit schien den Kopf und den ganzen Mann wie eine Aura zu umgeben. Er war hager und recht jung, die blinden Augen funkelnde Smaragde, als starre er an mir vorbei in eine
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