Tochter des Glueck
eine Botschaft ist, dann gibt das Fotostudio die Abzüge vielleicht nicht heraus.« Meine Stimme zittert. Ich darf keine Angst haben. Als ich weiterspreche, höre ich die Kraft eines Drachen. »Gehen wir zu Z. G. Er ist Künstler. Er wird einen Fotografen kennen, der den Film entwickeln kann.«
Als wir bei Z. G. ankommen, ist es sieben Uhr. Die Dienstmädchen lassen uns herein. Z. G. ist natürlich nicht da.
»Der Herr ist bei einem Bankett«, erzählt uns das Mädchen mit der Bob-Frisur.
Das ältere Dienstmädchen seufzt. Sie wird ihren Untergebenen nie etwas beibringen können, dennoch wird uns umgehend Tee serviert, und die Mädchen ziehen sich zurück. Dun setzt sich in einen Sessel, ich gehe ungeduldig auf und ab. Es ist schon nach elf, als Z. G. nach Hause kommt. Ganz Mann von Welt – wie ein Filmstar –, zeigt er keinerlei Überraschung, dass Dun und ich so spät am Abend hier sind.
»Haben euch meine Mädchen gut versorgt?«, fragt er. »Habt ihr schon gegessen? Dürfen sie euch noch Tee bringen?«
Ich stehe völlig verzweifelt hier, und er denkt an Benimmregeln.
»Wir glauben, Joy ist in Schwierigkeiten. Sie hat einen Film geschickt. Kennst du jemanden, der ihn entwickeln kann?«
Dun erklärt das mit den Hühnerfedern. Auch Z. G. kennt ihre Bedeutung, aus einem Märchen, das ihm seine Großmutter erzählt hat. Die sorgenvolle Miene der beiden Männer macht mir Angst, aber ich versuche ruhig zu bleiben. Mit einer Handbewegung bedeutet uns Z. G., ihm nach draußen zu folgen. Wir eilen durch die verlassenen Straßen. Es ist kurz vor Mitternacht. Im Neuen China gibt es keine nächtlichen Spaziergänger, Leute auf dem Weg in Nachtclubs oder Teehäuser, um ein letztes Glas zu trinken, keine Prostituierten, die darauf warten, ihre Liebesdienste an den Mann zu bringen. Nur wir drei laufen durch Gasse um Gasse. Dann biegen wir in einen Hof ein und steigen vier Treppen hinauf. Z. G. hämmert an eine Tür. Ein Mann in grauem Unterhemd und ausgeleierten Hosen macht auf.
»Hallo, Z. G., lange nicht gesehen. Aber es ist spät. Was machst du hier?« Er reibt sich den Schlaf aus den Augen.
»Alter Freund, du musst mir einen Gefallen tun«, sagt Z. G. und schiebt den Mann zurück in die Wohnung.
Innerhalb weniger Minuten stehen wir vier gedrängt in einer winzigen Dunkelkammer, nur erleuchtet vom Schein einer nackten roten Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hängt. Der Fotograf mischt Chemikalien zusammen und entwickelt den Film. Er hängt die Negative an einer Schnur auf, und wir warten ungeduldig, bis sie getrocknet sind. Dann macht er Kontaktabzüge, die in eine Schale mit einer Lösung gelegt werden. Das erste Bild, das in der Flüssigkeit zu sehen ist, zeigt eine Eule, die auf eine Seite der Führungshalle gemalt wurde. Der Fotograf saugt Luft zwischen den Zähnen ein. »Nicht gut«, murmelt er. Die beiden anderen Männer nicken finster.
»Was ist los?«, frage ich.
»Eulen versteht man immer als Kritik«, erklärt Dun. »Und dazu noch die Hühnerfedern.«
Z. G.s Freund hängt den ersten Abzug an die Schnur und vergrößert dann noch weitere Aufnahmen von den Wandbildern auf allen Seiten der Führungshalle, dazu einige Details in Großaufnahme. Raumschiffe, gigantische Maiskolben und noch mehr Hühner. Die Bilder meiner Tochter lassen sich mühelos von denen Taos oder der anderen, die mitgeholfen haben müssen, unterscheiden. Dann kommen Aufnahmen von Joy, die vor dem Wandbild steht, mit hagerem Gesicht, gekleidet in mehrere Schichten wattierter Sachen. Sie hält Samantha im Arm, die ebenso vermummt ist.
»Warum zeigt sie denn das Baby nicht her?«, frage ich. »Ich bin die Großmutter. Ich möchte es sehen.«
Trotz meiner Ungeduld hängt Z. G.s Freund in aller Ruhe einen Abzug nach dem anderen an die Schnur. Auf dem nächsten Bild sieht man Joy, die vor einer Gestalt steht, die für mich wie Jesus am Kreuz aussieht, aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Wieder schüttelt der Fotograf den Kopf. Macht er sich Sorgen um die Sicherheit meiner Tochter oder um seine eigene? Dann legt er die letzte Aufnahme in das Entwicklerbad. Mit einer Zange schüttelt er die Flüssigkeit vom Papier ab. Das Bild, das nun entsteht, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Joy hat die Jacke ausgezogen und das Baby ausgewickelt. Derjenige, der die Aufnahme gemacht hat, ist näher herangekommen, und ich kann meine Tochter und meine Enkeltochter besser erkennen. Wenn ich nicht wüsste, dass das Joy ist, würde
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