Tochter des Glueck
Indien und Pakistan, geschmorte Tomaten, Würstchen, schlaffer Speck und Toast mit Butter und Marmelade für die Engländer, Reisbrei, sauer Eingelegtes und Berge gefüllter Teigtaschen für die Chinesen. Für die Regierung ist es wichtig, nach außen den Eindruck zu vermitteln, dass es keine Probleme im Land gibt; der Große Sprung nach vorn ist großartig! Ta-ming lädt sich den Teller mit mehr Essen voll, als er je verdrücken könnte, aber das tun wir alle.
Kurz vor neun gehen wir zum Messeeingang, wo wir vom Organisator begrüßt werden, einem beflissenen Mann mit einem glänzenden, runden Gesicht. Er führt uns in die große Halle. Auf der Bühne vorne stehen mehrere mit roter Seide verhüllte Staffeleien.
»Geich nach dem Einlass stellen wir euch dem Publikum vor, und dann werden eure Bilder enthüllt«, erklärt der Organisator auf Mandarin mit einer Zigarette zwischen den Lippen. Er hält inne und runzelt besorgt die Stirn. »Mitglieder der Künstlervereinigung von Kanton kündigen euch an, dann beginnt ihr mit der Vorführung. Aber bitte macht das zügig. Die Leute sind hergekommen, um unsere Produkte zu kaufen, und sie werden schnell weiter in die Ausstellungsräume gehen wollen.«
Hunderte Besucher werden eingelassen. Tao hält sich an den Organisator, wahrscheinlich hofft er, Beziehungen knüpfen zu können, während wir anderen darauf warten, dass das Programm beginnt. Natürlich ist es doch aufwendiger, als man uns gesagt hat. Ein Drachentanz mit scheppernden Zimbeln, lauten Trommeln und bunten Kostümen sorgt für eine festliche Stimmung. Dann betritt der Organisator das Podium. Tao klebt immer noch an seiner Seite – und nicht zum ersten Mal denke ich mir, was für ein gieriger, törichter Mensch mein Schwiegersohn doch ist.
»Ich heiße alle Gäste der Exportwarenmesse der Volksrepublik China willkommen«, beginnt der Organisator auf Kantonesisch. Er wiederholt die Begrüßung auf Mandarin und spricht auch auf Mandarin, der chinesischen Amtssprache, weiter. »Dieses Jahr gibt es noch mehr unserer wunderbaren Traktoren, Textilmaschinen, Wecker und Taschenlampen als sonst zu sehen und natürlich auch zu kaufen. Wir stellen die besten und billigsten Waren der Welt her. Es gibt nichts, was die Volksmassen nicht könnten!«
Das Publikum applaudiert. Der Organisator bittet mit erhobenen Händen um Ruhe.
»Ich weiß, jeder möchte so schnell wie möglich hinein, aber zuerst haben wir noch etwas Besonderes vorbereitet. Wir eröffnen die Messe heute mit einer bedeutenden Kunstausstellung«, fährt er fort. »Sie wird von hier aus nach Peking reisen, zum alljährlich stattfindenden Neujahrsplakatwettbewerb. Danach wird sie in Großstädten im ganzen Land gezeigt. Wer schon einmal hier war, kennt Li Zhi-ge, einen der besten Künstler unserer Nation. Er ist wieder hier, und gleich hole ich ihn auf die Bühne, aber zuerst möchte ich noch Feng Tao vorstellen.«
Wieder wird applaudiert, während Tao winkt, lächelt und sich mehrmals verbeugt. Das hat er bei anderen Veranstaltungen nach seiner Genesung gelernt.
»Feng Tao ist durch und durch rot«, fährt der Organisator fort. »Aber er ist mehr als das! Er ist gleichzeitig rot und Experte, so bezeichnen wir das.« Ein größeres Kompliment gibt es dieser Tage nicht, und es bezieht sich auf Bauern wie Tao, die »rot« sind wegen ihres jahrtausendelangen Leidens und »Experten« wegen ihrer Unwissenheit. »Er ist hier, um der Welt zu zeigen, dass jeder ein Künstler werden kann. Sicherlich wird er in Peking die Auszeichnung für das beste Neujahrsplakat bekommen.«
Ich werfe einen kurzen Blick zu Z. G. hinüber, um zu sehen, wie er das aufnimmt. Wie schwer muss es in den vergangenen Monaten gewesen sein, ständig diesen Unsinn zu hören, aber seine Miene bleibt ausdruckslos. Neben mir tritt Joy nervös von einem Bein aufs andere. Sie weiß, dass sie gleich dort hinaufgerufen wird, um als Taos Vorbildgenossen-Ehefrau vorgeführt zu werden, die aus dem imperialistischen Amerika ins Vaterland heimgekehrt ist.
Der Organisator bittet die Delegation der Künstlervereinigung von Kanton zu sich auf die Bühne. Sie ziehen von jeder Staffelei die rote Seide herunter und enthüllen einige von Z. G.s neuesten Werken – strahlende, rundgesichtige Frauen, die Traktor fahren, stämmige Frauen, die rote Fahnen schwenken und lächelnd eine Kolonne Panzer betrachten, die zum zehnten Jahrestag der Volksrepublik China über den Chang’an-Boulevard rollen, und den
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