Tochter des Glücks - Roman
Aber Moment …
»Bei meiner Hochzeit hast du darüber gesprochen, wie schwer für dich der Tag deiner Hochzeit war und wie streng der Gebieter geschaut hat, als er deinen Schleier anhob«, sage ich. »Doch jetzt hört sich das so an, als hättest du heiraten wollen.«
»Es war keine arrangierte Ehe«, erwidert Yong. »Meine Eltern hatten darauf bestanden, dass ich mir die Füße binde, aber ansonsten waren sie sehr modern. Sie wollten, dass ich aus Liebe heirate …«
»Aber bei meiner Hochzeit hast du gesagt …«
» Aiya! Muss ich dir denn alles erklären? Ich wurde mit dem Gebieter verheiratet, und ich komme aus Shanghai. Ich kann lesen und Klavier spielen. Ich bin nicht wie Kumei. Ich bin nicht von hier. Niemand wird hier jemals Verständnis für mich haben. Ich sage und tue, was zum Überleben nötig ist. Wenn das bedeutet, dass man in einem Raum voll kleiner Rettiche lügen muss …«
Sie verliert sich in Gedanken, und ich lasse ihre Worte auf mich wirken. Ich bin nicht von hier. Ich komme aus dem imperialistischen Amerika. Ich kann lesen und schreiben. Ich äußere meine Meinung zu unverblümt. Ich war nicht vorsichtig genug …
»Nachdem unser Gebieter getötet wurde, kamen neue Soldaten«, sagt Kumei plötzlich. »Sie fragten mich, ob ich etwas haben wolle. Warum nur, schließlich sollte man doch nichts Materielles begehren. Deshalb habe ich abgelehnt. Aber der Hauptmann sah mein Baby an und schenkte ihm die Geige.«
»Und du hast überlebt. Ihr drei seid alle noch am Leben.« Nach allem, was ich gehört habe, frage ich: »Wie kann das sein?«
»Es kam eine Zeit, in der ich nur noch den Gedanken hatte, wie ich mich und Ta-ming retten könnte«, gibt Kumei zu. »Ich dachte, ich könnte mich vielleicht gegen Yong stellen. Ich überlegte, mich den anderen anzuschließen, wenn sie sie verhöhnten. Ich überlegte, von hier wegzulaufen, aber wo hätte ich schon hingehen sollen? Was konnte ich tun? Betteln? Meinen Körper verkaufen? Wer würde ihn kaufen? Und was ist mit Ta-ming? Hatte ich ihm gegenüber nicht eine Pflicht zu erfüllen? Er wurde hier geboren. Sein Vater wurde hier geboren. Das ist das Dorf von Ta-mings Ahnen. Und Yong?« Kumei reckt das Kinn vor.
»Sie besaß zu viel Herzensgüte, um mich zu verlassen«, erklärt mir Yong, als hätte ich das nicht längst verstanden.
»Ich nahm mir vor, genauer hinzuschauen«, sagt Kumei. »Die Soldaten waren einfach und höflich. Sie haben uns nichts gestohlen. Sie haben unseren Gebieter nicht umgebracht. Das waren die Dorfbewohner, mit Blut im Herzen, aber sie haben mir oder meinem Kind nie wehgetan. Weißt du, ich mag vielleicht als schwarzes Element gelten, doch ich stamme aus diesem Dorf, und alle haben jahrelang gesehen, wie ich behandelt wurde. Ich war eine von ihnen. Ich habe nie besondere Speisen verlangt oder dass die Leute Kotau vor mir machten, wenn ich durchs Dorf ging. Warum sollte jemand Kotau vor mir machen? Ich habe die Abortkübel aus dem Hofhaus gesäubert und auf den Feldern ausgeleert, so wie die anderen Frauen. Aber vor allem konnte ich nicht weg, weil hier das Zuhause meines Sohnes ist. Genau wie es das Zuhause deines Sohnes sein wird.«
»Ich habe keinen Sohn«, sage ich verblüfft.
Schon wieder werfen Kumei und Yong einander wissende Blicke zu.
»Du bekommst ein Baby«, sagt Yong. »Weißt du das nicht?«
Ich winke ab. »Nein, bestimmt nicht! Das kann nicht sein!«
Yong macht große Augen. »Hat dir deine Mutter nichts über diese Dinge beigebracht, bevor sie nach Shanghai zurückgekehrt ist?«
»Meine Mutter musste mir gar nichts erzählen«, antworte ich entrüstet. »Ich weiß, wie Babys gemacht werden.« Aber ich habe ein ungutes Gefühl, denn, ja genau, ich weiß, wie Babys gemacht werden.
»Hattest du in letzter Zeit Besuch von der kleinen roten Schwester?«, fragt Kumei hilfsbereit. »Deine Schwiegermutter sagt Nein.«
Ich werde rot vor Scham, weil meine Schwiegermutter offen über etwas spricht, das für mich ein ganz privates Thema ist, und nun selbst Yong und Kumei alles über meine Periode wissen. Aber das erklärt, warum sie in letzter Zeit netter zu mir war.
»Nein, sie hat mich nicht besucht«, gebe ich zu. »Aber ich wette, euch – und selbst meine Schwiegermutter – auch nicht. Wir hatten weder was Richtiges noch genug zu essen.«
»Sie hat dich nicht besucht, Genossin Joy, weil du getan hast, was Eheleute tun.«
Und als würde ich nicht bereits wissen, dass sie recht hat, beweise ich es, indem ich
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