Tochter des Glücks - Roman
bedeutet Glück , aber eigentlich ist es eine grobe Beleidigung, denn weiblicher Nachwuchs gilt immer als Unglück. Das macht nichts. Mein Großvater hat mich Pan-di genannt – Hoffe-auf-einen-Bruder. Der Name, den er mir gab, hat mich nur stärker gemacht.
Ich schreibe Briefe an meine Mutter und meine Tante, erzähle ihnen von der Geburt meines Babys und nenne ihnen den Namen. Dann wickle ich Sam in ein Stück Stoff und binde sie mir vor die Brust. Gemeinsam gehen wir den Hügel hinunter und warten darauf, dass der Postbote kommt. Heute bringt er mir ein Paket von meiner Mutter. Aufgeregt trage ich es nach Hause, denn ich hoffe, dass etwas zu essen darin ist. Aber das Päckchen ist bereits geöffnet worden und halb leer, jemand in der Führungshalle hat sich also daran bedient. Übrig sind Babymilchpulver und selbst gemachte Schuhe. Ich verstecke die Babynahrung bei dem Päckchen mit dem Milchpulver, das mir Tante May geschickt hat. (Sie hat dazu geschrieben, dass ich dem Baby die Flasche geben soll, um eine vorzeitige Alterung und einen Hängebusen zu vermeiden.) Fu-shee lässt die Kinder die selbst gemachten Schuhe nicht tragen, obwohl es kalt ist, sie will sie für besondere Gelegenheiten aufbewahren.
Ich frage mich, was wohl schlimmer ist: zu erfrieren oder zu verhungern. Ich bin weit davon entfernt, zu verhungern, aber durch das Fenster zieht es erbarmungslos, und das muss aufhören, besonders mit einem Neugeborenen im Haus. Ich bitte eines der Geschwister von Tao, Wasser vom Bach zu holen, und ein anderes, Holz für das Feuer draußen nachzulegen. Als das Wasser kocht, holen sie mich. Taos kleine Brüder und Schwestern sehen mit großen Augen zu, wie ich Wasser in eine Schale schütte, nach drinnen trage und einen der Schuhe, die meine Mutter für mich gemacht hat, darin einweiche. Der Schuh fällt sehr schnell auseinander.
Der Lautsprecher im Haus schweigt selten. Momentan berichtet der Sprecher von Naturkatastrophen – Dürre, Überschwemmungen und Monsun. Während ich die einzelnen Papierschichten von den Sohlen abziehe, wird mir bewusst, dass wir keine dieser Katastrophen mit eigenen Augen gesehen haben. Aber wenn das über Lautsprecher verkündet wird, dann muss es wohl so sein. Ich ziehe die einzelnen Papierschichten von den Schuhen ab und streiche sie auf dem dünnen Reispapier glatt, das schon über der Fensteröffnung klebt, in der Hoffnung, dass der Wind dann nicht mehr durch jeden kleinen Riss zieht und ich mit den zusätzlichen Schichten die Naturgewalten in Schach halten kann. Vielleicht speichert das dunkle Papier auch mehr von der Sonnenwärme. Während ich vor mich hin arbeite, wird mir klar, was meine Mutter getan hat. Sie hat mir Schnipsel von sich und May geschickt: ihre Augen, Lippen, Finger. Als ich die Sohle des zweiten Schuhs halb aufgelöst habe, stoße ich auf anderes Papier. Ich löse es vorsichtig von der Sohle, falte es auseinander und sehe sechs Wörter, die meine Mutter in ihrer eleganten Schönschrift geschrieben hat.
Mein Herz ist immer bei Dir.
Ich werfe einen Blick auf die Collage, die ich über die Fensteröffnung geklebt habe, nehme meine kleine Tochter aus dem Tragetuch und halte sie hoch, damit sie es sehen kann. »Schau, das sind deine yen-yen und deine Großtante. Siehst du, wie lieb sie uns haben?«
Dann lege ich Sam wieder in das Tragetuch und widme mich dem Kleben. Taos kleine Brüder und Schwestern eilen hinaus, um unseren Nachbarn zu erzählen, was ich tue. Sie kommen, schauen sich das Ganze an und schütteln den Kopf.
Anfang Dezember holt Brigadeführer Lai Milizsoldaten aus Tun-hsi, die unsere Häuser durchsuchen sollen, weil er seine schmutzige Arbeit nicht mehr selbst verrichten will. »Wo habt ihr euer Getreide versteckt?«, fragen die Männer grimmig. »Wir wissen, dass ihr es gestohlen habt.«
Wir haben nur eine geringe Menge versteckt – bloß ein paar Becher voll –, aber wir haben sie in unserem Zweizimmerhaus gut verteilt. Wir haben unsere wattierten Jacken aufgeschlitzt und kleine Päckchen mit Reis und Weizen, den wir von den bereits geernteten Feldern aufgelesen hatten, in das Baumwollfutter gesteckt. In einem Tiegel haben wir ein wenig Hirse unter der Schlafplattform vergraben. Gesammelte Erdnussschalen haben wir in einen alten Reissack gewickelt und zwischen einen Dachsparren und das Dach gestopft. Die Schalen mahlen wir, um sie unter den Reisbrei zu mischen. Parteifunktionäre haben uns angewiesen, wir sollten »das Jahr im Überfluss so
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