Tochter des Glücks - Roman
einer Mutter – nicht einmal, wenn es ein Mädchen ist.« Tao spricht einfach über mich hinweg. »Ah Fu gehört zu meiner Familie und unserem Dorf, nicht zu einer Außenseiterin. Meine Frau setzt eine rote Maske auf, aber ich habe ihr reaktionäres Verhalten gesehen. Ich habe sie ermutigt, ihr Herz der Partei zu öffnen. Ich habe ihr gesagt, sie müsse ein Rädchen in der Revolutionsmaschine sein, aber sie weigert sich, die rituelle Selbstprüfung und Selbstkritik zu leisten.«
Alles, was meine Mutter über Tao gesagt hat, ist wahr. Er ist hsin yan – sowohl entschlossen als auch verschlagen. Er nutzt den Rückhalt, den ihm seine Umgebung bietet, um mich zu denunzieren, und will auf diese Weise davon ablenken, dass er mit Mädchen aus den Arbeitsgruppen schläft.
»Sie ist nicht rot«, betont er. »Sie ist schwarz, und sie hat versucht, diese Schwärze mit ihrem schwarzen Wandbild unter uns zu verbreiten! Es gibt Regeln für Bilder. Sie müssen hong, guang, liang sein – rot, leuchtend und strahlend –, aber was hat sie auf einer der Wände als Thema gewählt? Eine Eule. Die ganze Welt weiß, dass die Eule ein schlechtes Vorzeichen ist und für Dunkelheit und Unheil steht.«
»Du leidest an hong yen bing – an der Rote-Augen-Krankheit –, Neid«, schieße ich zurück. Aber seine Bemerkungen machen mir Angst, denn mit meinem Wandbild wollte ich in Wirklichkeit verkünden, dass der Große Sprung nach vorn eine einzige Katastrophe ist.
Dann sagt Tao etwas, das noch schlimmer ist und allen beweist, dass ich nicht nur eine schlechte Ehefrau bin, sondern auch das Gründrachendorf und die Kommune verraten habe.
»Sie will mich ständig überreden, das Dorf zu verlassen. Sie sagt, woanders kann ich ein besseres Leben führen.«
»Das ist gelogen!«, rufe ich. »Du bist derjenige, der mich ständig bittet, meinem Vater zu schreiben, ob er uns eine Reiseerlaubnis oder einen Inlandspass besorgen kann. Du hast mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich dir nur ein Klotz am Bein bin und dich daran hindere, das Dorf zu verlassen. Du bist derjenige, der nach Lob und Anerkennung strebt. Du hast versucht, das Wandbild als deines auszugeben.«
Doch wem werden die Leute in der Kantine glauben – jemandem, den sie schon ihr ganzes Leben kennen, oder mir? Ich habe Parteisekretär Feng Jin immer für einen ehrlichen und aufrichtigen Menschen gehalten. Mit flehend ausgestreckten Händen wende ich mich nun an ihn.
»Ihr müsst versuchen, das in Ordnung zu bringen«, sagt er. »Eine geschiedene Frau ist wie eine ausgetrocknete Seidenraupe – hässlich und völlig nutzlos für alle.«
»Aber Tao hat seine Zeit mit anderen geteilt …«
»Genug!«, befiehlt Brigadeführer Lai. »Setzt euch, wir wollen jetzt eure Genossen anhören.«
So wird meine Scheidung zu einer öffentlichen Kritik, als einer nach dem anderen aufsteht, um mich als rechtsgerichtetes Element zu denunzieren. Sie sprechen leise, als hätten sie lange nichts Anständiges mehr gegessen, was ja auch der Fall ist. Dann tritt eine junge Frau, die ich von einer der Arbeitsgruppen kenne, vor das Tribunal. Wie sie Tao anschaut, verrät mir, dass sie eines von seinen Mädchen ist. Mein Körper spannt sich an. Samantha wacht auf und beginnt zu zappeln.
»Du wolltest die Hauptrolle in dem Theaterstück spielen, das die Propagandamannschaft inszeniert hat, als du ganz neu hier warst«, wirft mir das Mädchen vor. »Du hast dich immer vorgedrängt und wolltest eine Sonderbehandlung. Seither arbeitest du lieber auf individualistische Weise.«
»Ich bin gekommen, um der Volksrepublik China zu helfen«, sage ich standhaft. »Ich wollte dem Volk dienen, und das habe ich getan.«
»Du gebrauchst das Wort ich zu oft«, ruft jemand. »›Ich, ich, ich‹ – das klingt nach Selbstüberhöhung, Selbstdarstellung und Selbstverherrlichung des Individuums.«
»Du sprichst zu freimütig«, behauptet jemand anderer.
»Und du prahlst …«
»Wie ein Ausländer.«
»Du bewegst dich zu übertrieben und ausdrucksvoll.« (Das stimmt. In dieser Beziehung bin ich eher amerikanisch als chinesisch.)
Der Brigadeführer bedeutet dem Publikum, ruhig zu sein, dann spricht er mich direkt an. »Deine Genossen sagen dir, dass du noch nicht ganz vom Individualismus reingewaschen bist. Du hast dich auch geweigert, dein Herz der Partei zu öffnen. Du musst wissen, dass unsere Kritik dir helfen soll.«
Zwei Armpaare ergreifen mich unter den Achseln und heben mich auf einen Tisch, damit die
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