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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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du begreifst überhaupt nichts. Ich möchte daran teilhaben, etwas Größeres zu erschaffen, als es meine eigenen Probleme sind. Ich möchte Wiedergutmachung leisten für alles, was ich zerstört habe – Dads Leben, unsere Familie. Das ist meine Art der Sühne.«
    »Das Beste, was du tun kannst, ist, nach Hause zu kommen. Onkel Vern vermisst dich. Und« – es kostet mich Überwindung, das zu sagen – »möchtest du May nicht auf eine neue Art kennenlernen? Selbst wenn du recht haben solltest – aber das hast du nicht –, ist Rotchina nicht der Ort, um das alles wiedergutzumachen.«
    »Pearl hat recht«, sagt Z. G. »Du solltest nach Hause zurückkehren, denn du verstehst nicht, was du siehst und was du erlebst. Lu Shun hat geschrieben: ›Der Erste, der von einem Krebs kostet, muss auch von einer Spinne gekostet und gemerkt haben, dass sie nicht schmeckt.‹ Du hast nur von dem Krebs gekostet.« Er wirft mir einen Blick zu und sieht dann wieder Joy an. »Ich habe deine Mutter zum letzten Mal vor zwanzig Jahren gesehen. Ich wusste nichts von dir. Ich wusste nicht, wie es deiner Mutter und Tante ergangen ist. Warum? Weil ich mich Mao angeschlossen habe. Ich habe in Schlachten gekämpft. Ich habe Menschen getötet.«
    Er zählt seine Entbehrungen während der letzten beiden Jahrzehnte auf, denn offenbar denkt er, hier geht es um ihn. Wir sollen wohl glauben, dass er uns seine Lebensgeschichte erzählt, aber ich kannte Z. G. einmal sehr gut und weiß genau, dass er vieles nicht preisgibt. Wieso auch? Er hat Joy gerade erst kennengelernt. Es ist schön, eine Tochter zu haben, die einen voller Liebe und Respekt anblickt, aber ich mag keine Lügen mehr hören.
    »Du bist abgehauen«, werfe ich ihm vor. »Du wurdest als Maler berühmt, und du hast mein und Mays Leben zerstört.«
    »Zerstört? Wie denn?«, fragt Z. G. »Ihr konntet das Land verlassen. Ihr habt geheiratet. Ihr hattet eine Familie. Ihr hattet Joy in eurem Leben. Manche sagen vielleicht, ich sei im Regime erfolgreich gewesen, aber andere würden behaupten, ich hätte meine Seele verkauft. Lass mich dir eins sagen, Pearl. Man kann verkaufen und verkaufen und verkaufen, doch manchmal ist das nicht genug.« Er wendet sich an Joy. »Möchtest du den wahren Grund erfahren, weshalb ich aufs Land gegangen bin?«
    »Um die Massen zu unterrichten«, antwortet sie pflichtschuldig.
    »Ich kann versuchen zu unterrichten, so viel ich will, aber den Ungebildeten kann ich nichts beibringen.«
    Habe ich vergessen zu sagen, dass ein Hase auch eingebildet ist?
    »Vielleicht bist du ein schlechter Lehrer«, sage ich.
    Z. G. wirft mir einen Blick zu. »Ich habe meine Tochter unterrichtet, und sie hat eine Menge gelernt.«
    »Und du hast auch Tao unterrichtet«, fügt Joy hinzu.
    Als sie den Namen ausspricht, klingt ihre Stimme plötzlich ganz hell.
    »Ich habe ihn gelobt, weil ich irgendjemanden loben musste«, sagt Z. G. »Er ist nicht besonders gut. Das siehst du doch sicher auch.«
    »Nein«, widerspricht sie zornig.
    Sie sieht ihn voller Empörung an. Diesen Blick kenne ich noch von ihr als kleinem Mädchen, wenn man ihr etwas sagte, was sie nicht hören wollte. Aufgrund ihrer Reaktion möchte ich wissen, wer dieser Tao ist, aber Z. G. hakt noch einmal nach: »Willst du wissen, weshalb ich aufs Land gegangen bin?« Diesmal wartet er nicht auf eine Antwort. Wir werden es zu hören bekommen, ob wir wollen oder nicht. »Shanghai war im letzten Jahr völlig anders als jetzt. Jazzclubs hatten wieder geöffnet, für Leute wie mich – Künstler und, na ja, die Angehörigen der alten Elite. Es gab Tanzabende, Opern und Akrobaten. Dann startete Mao die Hundert-Blumen-Bewegung.«
    Ich erinnere mich, wie begeistert Joy davon war und dass sie mit ihrem Onkel Vern darüber in Streit geriet, der glaubte, die Kampagne würde »kein gutes Ende nehmen«.
    »Es hieß, wir könnten sagen, was wir wollten, ohne Angst vor Repressalien haben zu müssen«, fährt Z. G. fort. »Wir kritisierten alles, von dem wir glaubten, dass es in den ersten sieben Jahren des Regimes nicht funktioniert hatte, beschwerten uns über alles Mögliche und taten unsere Ansichten ohne Vorbehalte kund: Dass es in der Regierung ein Rotationsprinzip geben sollte, dass es ein Fehler war, sich bei der Sowjetunion einzuschmeicheln, und dass die Kontakte zu den Vereinigten Staaten und dem Westen wiederaufgenommen werden sollten. Künstler und Schriftsteller hatten eigene Beschwerdelisten. Wir wollten die Kunst und die

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