Tochter des Glücks - Roman
gemeinsame Zeit in den Höhlen von Yen’an erzählt.«
»Damals waren wir Genossen«, bestätigt Z. G. und schließt den Kreis zur Vergangenheit wieder. »Ich habe mich mit ihm getroffen und wurde im Winter 1937 Mitglied der Lu-Shun-Kunstakademie. Ich habe alle ausgebildet, die sich unserer Sache angeschlossen haben, um kulturelle Propaganda zu betreiben. Wer sollte das besser können als jemand, der viele Jahre lang Werbeplakate gemalt hat? Es ist nicht schwierig, von schönen Mädchen in erfundenen Landschaften auf Bilder von Mao, Chou und anderen Parteiführern umzusteigen, die in erfundenen Situationen mit lächelnden Arbeitern, Soldaten und Bauern posieren.«
»Das ist nicht erfunden …«
»Nein? Hast du den großen Steuermann jemals mit Bauern durch die Felder gehen sehen?«, fragt Z. G. Er wartet auf eine Antwort, und als keine kommt, fährt er fort. »Er hat es ja schon erzählt: Als wir nach Peking einmarschiert sind, hat er mir einen wichtigen Posten angeboten, aber ich war mittlerweile desillusioniert. Während des Feudalismus sagten die Leute: ›Dem Kaiser zu dienen, ist das Gleiche, wie wenn eine Ehefrau oder Konkubine ihrem Ehemann oder Herrn dient. Die größte Tugend ist es, loyal und unterwürfig zu sein.‹ Das möchte Mao von uns, aber ich fürchte, ich kann nur dann loyal und unterwürfig sein, wenn Arbeitslager oder Tod die Alternativen darstellen. Glücklicherweise kam meine Rehabilitation schon nach wenigen Monaten. Sie begann, als Mao mich nach Kanton geschickt hat.«
Als ich das Wort Rehabilitation höre, muss ich an Sam denken. Auch er wurde von der Regierung verfolgt, aber für ihn gab es keine Rehabilitation. Joy scheint das nicht aufzufallen.
»Aber der Vorsitzende Mao mag dich«, beharrt sie leise.
»Dich mag er«, antwortet Z. G. »Es hat ihm gefallen, dass ein so hübsches Mädchen Amerika verlässt, um hierherzukommen. Danke, dass du mir bei meiner Rehabilitation geholfen hast.«
»Rehabilitation?«, wiederholt Joy, die das Wort nun mitbekommen hat.
»Erinnerst du dich nicht mehr an sein Gespräch mit uns auf der Ausstellung?«, fragt Z. G.
Ich weiß nicht, wovon sie reden, doch Joy nickt zustimmend.
»Warum hast du mir das nicht erzählt?«, fragt sie.
»Ich habe es ja versucht, aber du wolltest mir nicht zuhören. Als wir in Kanton waren, wollte ich, dass du das Land verlässt.«
»Das stimmt«, gibt Joy zu.
»Na, offensichtlich hast du dich nicht genug bemüht«, mische ich mich ein. Beide wenden sich mir zu, als würden sie sich erst jetzt wieder erinnern, dass ich ebenfalls da bin.
»Die Wahrheit ist, ich wollte nicht, dass sie geht«, gesteht Z. G.
»Sie ist deine Tochter! Du hättest sie schützen müssen!«
»Sie ist meine Tochter«, sagt Z. G. »Ich wusste nicht, dass es sie gibt. Ich war egoistisch. Ich wollte sie kennenlernen.« Nun wendet er sich an Joy. »Das bedeutet aber nicht, dass du hierbleiben solltest.«
»Ich will auch gar nicht hierbleiben. Ich will zurück ins Gründrachenkollektiv.«
Z. G. wirkt besorgt. Ich kenne diesen Ort nicht, aber ich weiß, dass meine Tochter nicht in ein Kollektiv gehört.
»Die Menschen werden von der Erde und dem Wasser um sie herum geprägt«, sagt er. »Du bist Amerikanerin. Du kennst keine Not, du musstest nie ums Überleben kämpfen. Wenn du zurück ins Gründrachendorf gehst, gibst du das Großstadtleben auf. Du wirst nicht nach Shanghai zurückkehren können. Und du wirst China ganz sicher nicht verlassen können.«
»Ich will China auch nicht verlassen«, sagt Joy stur. »Das ist jetzt mein Zuhause.«
»Wie erkläre ich ihr das so, dass sie es versteht?«, fragt mich Z. G. Joy erstarrt, und ich bleibe still. Er wendet sich wieder an Joy. »Ich habe Mao und Chou mit meinen Bildern um Vergebung gebeten, aber wer weiß, was morgen passiert? Mao wird es nicht zugeben, wenn er sich getäuscht hat. Er entledigt sich jeder Person, die nicht seiner Meinung ist. Seit dem zurückliegenden Klassenkampf wurden alle, die entweder Hirn oder Rückgrat hatten, ins Arbeitslager geschickt oder umgebracht. Wer blieb, so wie Chou En-lai, hat Angst, sich gegen Mao zu stellen, aber das ist auch egal, denn er hört sowieso niemandem mehr zu. Wer wird China vor schlechten Ideen schützen?«
Als ich das hübsche Gesicht meiner Tochter betrachte, sehe ich ihr an, dass es ihr völlig egal ist, was Z. G. sagt. Er hat es mit Vernunft versucht – so ichbezogen das auch gewesen sein mochte –, doch meine Tochter leidet an etwas,
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