Tochter Des Krieges
und Marktstadt, besonders für den Wollhandel. Seine prächtige normannische Kathedrale und Burg mit all den Geistlichen und Edelleuten und ihren Bedürfnissen hatten der Stadt zu Reichtum und Einfluss verholfen. Lincoln war eine pulsierende, lebhafte Gemeinde, die immer noch weiter anwuchs. Sie besaß keine Stadtmauer – die Stadtbewohner konnten notfalls in der Burg oder der Kathedrale Schutz suchen –, und so näherten sich Thomas, Wat und ihre kleine Eskorte Lincoln über die offene nördliche Zugangsstraße. Im nördlichen Außenbezirk der Stadt befand sich ein kleiner dominikanischer Konvent, aber Thomas hatte nicht vor, dort zu übernachten. Ein Gasthaus würde denselben Zweck erfüllen, und dort würde er auch nicht von den lästigen Glocken und Gesängen des religiösen Ordens gestört werden.
Es war kurz vor der Abenddämmerung, und sie waren den ganzen Tag unterwegs gewesen. Müde und erschöpft, bemerkten sie zu spät eine größere Gruppe von Reitern, die ihnen entgegenkam.
Thomas war so sehr in seine Gedanken vertieft, dass er erst hochblickte, als er Wat Tyler einen Fluch ausstoßen hörte und sein Pferd zügeln sah.
Kurz darauf wurde auch Thomas’ Pferd langsamer, und er sah sich gezwungen, seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung zu richten.
Zu beiden Seiten der Straße befanden sich eingezäunte Höfe, in denen Rinder und Schafe für den Markt untergebracht waren. Direkt vor ihm saß Richard Thorseby, der Ordensgeneral von England, auf einem dunklen Pferd, in Begleitung einer undurchdringlichen Mauer aus berittenen Soldaten.
»Sieh an, sieh an«, sagte Thorseby mit ruhiger Stimme. »Wenn Ihr beschlossen habt, aus dem Orden auszutreten, Thomas, hättet Ihr mich vielleicht darüber in Kenntnis setzen sollen, damit ich nicht halb England nach Euch absuchen muss.«
Einen Moment lang konnte Thomas ihn nur ungläubig anstarren. Er war so sehr in seine Gedanken versunken gewesen, dass er Thorseby zunächst für eine Vision hielt.
Thomas hatte sich inzwischen so weit von der Kirche und dem Einfluss des Dominikanerordens entfernt, dass er sich kaum mehr erinnern konnte, warum Thorseby halb England nach ihm abgesucht haben sollte.
»Tom?«, sagte Wat, und Thomas warf Tyler einen Blick zu. Er war zu allem bereit; eine Hand ruhte auf dem Heft seines Schwertes.
Thomas sah wieder zu Thorseby hinüber. Dieser hatte mindestens zwanzig schwer bewaffnete Soldaten bei sich – vermutlich einem Edelmann abgeschwatzt, der Thorseby einen großen Gefallen schuldete.
»Lass gut sein, Wat«, sagte er und hielt dabei den Blick unverwandt auf Thorseby gerichtet. »Ich will nicht, dass du wegen dieses schwarzen Teufels dein Leben riskierst.«
Thorseby trieb sein Pferd an, bis er nur noch wenige Schritte von Thomas entfernt war und ihm direkt in die Augen blicken konnte.
»Da Ihr Euer Gelübde noch nicht offiziell aufgehoben habt, Bruder Thomas«, sagte Thorseby, »untersteht Ihr immer noch meinem Befehl. Hiermit verhafte ich Euch wegen einer Reihe schwerwiegender Vergehen von Ungehorsam über Unzucht bis hin zu Verdacht auf Ketzerei… «
»In Gottes Namen, Thorseby, Ketzerei?«
»… und befehle Euch, mit mir zu kommen… das heißt, falls Ihr noch wisst, was es bedeutet, Euch der Autorität der Kirche zu beugen. Wenn nicht, dann verfüge ich, wie Ihr seht, über die nötigen Mittel, Euch zum Gehorsam zu zwingen. Werdet Ihr freiwillig mit mir kommen?«
Thomas saß eine Weile lang da, den Blick auf Thorseby gerichtet, während sein Pferd nervös tänzelte.
»Ist meine Eskorte ebenfalls verhaftet?«, fragte er schließlich.
»Natürlich nicht. Es sei denn, die Männer haben Euch willentlich unterstützt… «
»Sie sind unschuldig.«
»Dann dürfen sie gehen.«
Ohne den Blick von Thorseby abzuwenden, sagte Thomas ruhig zu Wat: »Reite nach Süden. Schnell. Sag Lancaster, wenn er herausfinden will, was ich entdeckt habe, dann muss er mich aus den Klauen dieses schwarzen Vogels befreien.«
Um Thorsebys Mundwinkel zuckte es verächtlich, aber er sagte nichts.
Wat nickte und ließ sein Pferd einen Schritt nach vorn tun, die anderen Männer seiner Eskorte dicht hinter ihm.
Thorseby, der Thomas’ Blick erwiderte, gab seinen Männern ein Zeichen, und sie ließen Wat und seine Männer hindurchreiten.
Nachdem seine Eskorte ihre Reihen wieder geschlossen hatte, sagte Thorseby: »Wir werden die Nacht im Kloster hier in Lincoln verbringen und morgen in Richtung Süden nach Oxford reiten. Dort werde ich Euch vor
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