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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gewonnen haben, denn er trug die prächtigste Kleidung von allen: eine Tunika, blau-grün kariert, mit einem Saum aus roter Seide und mit metallisch glänzenden Fäden durchwebt. Der Stoff schien widerstandsfähiger als das löchrige Leinen, das sie am eigenen Körper trug.
    Runa konnte den Anblick der geschlachteten Kuh nicht länger ertragen, schlich leise weiter und lugte nun durch die winzige, mit einer Schweinsblase bespannte Luke ins Langhaus. Ihr Leib bebte - nicht nur vor Kälte, auch vor Furcht, in die sich das Unbehagen gewandelt hatte: Furcht vor Männern, die kamen, wenn sie nicht kommen sollten, die Kisten auf das Schiff ihres Vaters brachten, anstatt es zu entladen, und die ihre Kuh schlachteten.
    Das Stimmengemurmel jener Männer wurde von der Hauswand gedämpft - stattdessen hörte Runa nun die Großmutter rufen: »Was hast du vor? Was hast du nur vor?«
    Ihre Großmutter Asrun war eine nüchterne, bestimmte Frau, die ihrem Alter und ihrem Geschlecht trotzte, die sich Kälte, Erschöpfung und Hunger nicht anmerken ließ, die nicht um Tote trauerte, weil es keinen Sinn machte, aber um jeden Überlebenden ihrer Sippe kämpfte, weil dies das Einzige war, in dem sie einen Sinn sah. Doch jetzt lag Panik in ihrer Stimme, und als Runa nun sah und hörte, was drinnen vor sich ging, begann sie zu ahnen, warum.
    Im Langhaus war es finster. Rauchschwaden, die vom offenen Herdfeuer aufstiegen, stauten sich an der hölzernen Decke. Um die Feuerstelle herum standen niedrige Erdbänke, die des Nachts, mit Fellen bedeckt, zur Schlafstätte wurden, und gleich daneben gab es eine Mahlmulde aus Speckstein, in der Asrun für gewöhnlich Getreide und Senfsamen rieb. Runa meinte, ihre Großmutter an der Fischöllampe hantieren zu sehen, wenig später wurde das Langhaus erhellt. Asrun stellte die Lampe auf einer der Bänke ab und trat auf Runolfr, Runas Vater, zu - ein Riese verglichen mit der kleinen, hageren Alten. Diese stand jedoch mit strammem Rücken da, während er den Kopf gesenkt hielt und ihr nicht ins Gesicht sehen konnte.
    Er konnte kaum jemandem ins Gesicht sehen, nachdem vor vielen Jahren seine Frau, Runas Mutter Aesa, gestorben war. Runolfr zog seitdem immer öfter auf Viking und blieb viel länger fort. Als Aesa noch gelebt hatte, hatte Runa manchmal auf seinem Schoß gesessen und seinen rotblonden Bart zerrauft, während er ihr kleine Knochen auf eine Schnur zog oder Tiere, Schiffchen und Götterfiguren für sie schnitzte. Später hatte sie den Mann, der für sie ein Fremder geworden war, meist nicht wiedererkannt, wenn er plötzlich von einer seiner Reisen zurückkehrte.
    »Es ist vorbei«, erklärte er eben, überdrüssig und trotzig zugleich. »Es ist lange vorbei. Ihr führt hier ein erbärmliches Dasein! Einst waren wir eine große Sippe - mein Vater war mächtig wie ein Jarl. Doch du weißt, wie es gekommen ist: Das Jarlsgeschlecht derer, die hier in der Nähe von Nidaros leben, wurde von Harald bezwungen, der aus dem Süden kam. Und Harald begnügte sich nicht damit, ein Stammesführer zu sein, sondern wollte König heißen, und er wollte kein König unter vielen sein, sondern der einzige. Die meisten unserer Männer sind in der großen Schlacht gestorben, und die, die nicht gestorben sind, führen ein erbärmliches Leben wie unsereins. Von allem gibt es zu wenig: zu wenig fruchtbares Weideland, zu wenige Sommer, zu wenige Sklaven. Vor allem zu wenige Männer. Warum sonst lebt ihr nur zu zweit hier?«
    Runa konnte das Gesicht der Großmutter nicht sehen, denn sie hielt ihr den Rücken zugewandt. Ihre grauen Haare waren unter einer Haube verborgen, und die beiden Spangen hielten an den Schultern ein Kleid, das ihr viel zu weit war. Asrun behauptete, dass das Alter den Menschen auszehre und jeder an Körperumfang verliere. Runa wusste, dass es nicht das Alter, sondern der Hunger war, der Asrun so mager und sie selbst so sehnig hatte werden lassen, aber über den Hunger sprachen sie nicht. Sie sprachen auch nicht über den Krieg, den König Harald gegen die Jarls von Nidaros geführt hatte.
    Wenn Asrun ihr etwas über jenen Harald erzählt hatte, so nicht, dass er besessen von Macht und Landgewinn war, sondern von Gyda, um deren Hand er warb, die ihn jedoch ablehnte, weil er ihr nicht reich genug war. Da schwor sich Harald, den man auch Schönhaar nannte, weil seine glänzenden blonden Locken ihm bis über den Rücken fielen, dass er alle anderen Jarls unterwerfen würde, kein anderer mehr für sie

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