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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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hätten sie es damals selbst erobert! Denk dir unseren Anführer mächtiger als jeden Jarl in dieser erbärmlichen Einöde. Hrólfr heißt er oder vielmehr Rollo.«
    Asrun lachte bitter auf - nie hatte Runa die Großmutter so lachen gehört, verzweifelt und zornig zugleich. »Er leugnet seinen Namen, damit die Franken ihn besser aussprechen können?«
    »Spotte nicht! Rollo ist ein mutiger Mann. Sein Vater Ragnval, der Jarl von Möre, wurde von Harald ermordet, er selbst hingegen trotzte Harald, indem er auf dessen Land jagte. Dass Harald ihn daraufhin hat verbannen lassen, hat ihm nur die Heimat geraubt, nicht den Stolz. Er hat das Land auf einem Schiff verlassen, das von einer hölzernen Schlange und von einem Drachen gekrönt wurde, und giftig wie eine Schlange, feurig wie ein Drache schlug er fortan auf seinen Raubzügen zu. Ich kenne ihn seit vielen Jahren, noch von den Feldzügen nach Friesland, Schottland und Irland, auf denen ich ihn manchmal begleitet habe. Er hat viele Stämme und Sippen aus unserem Land vereint und die nördliche Spitze des Frankenreichs erobert.«
    »Von welchen Ländern du auch sprichst - keines will ich sehen.«
    »Aber Runa wird. Denn ich nehme sie mit.«
    Diesmal trotzte die Großmutter nicht mit Worten, sondern mit ihren Händen, die sie zu Fäusten ballte und abwehrend erhob. Runa hielt nichts mehr. Sie stürzte zur Tür, riss sie auf und stolperte ins Langhaus. Das Holz knarrte, als sie sich gegen eine der Wände stemmte, um das Gleichgewicht zu halten; Torf rieselte vom Dach.
    »Ich bleibe hier!«, verkündete sie ebenso gruß- wie atemlos und funkelte Runolfr mit ihren dunklen Augen an. »Ich bleibe hier bei der Großmutter! Ich werde niemals in die Fremde gehen!«
    Ihr Vater sah aus, als hätte er verdorbenen Met getrunken. »Du weißt doch gar nicht, wovon ich rede!«
    Er spuckte die Worte mehr aus, als dass er sie sprach, und ansehen konnte er seine Tochter so wenig wie zuvor Asrun.
    Wie will er denn überhaupt wissen, dass ich Männerkleidung trage, wenn er mich nicht ansieht?, fragte sich Runa.
    Doch auch wenn sein Blick unsicher geriet, seine Worte waren fest. »Dieser Hrólfr oder vielmehr Rollo, wie man ihn nennt, ist so groß, dass kein Pferd ihn tragen kann und er auf eigenen Beinen marschieren muss, wenn andere reiten. Als Sohn eines Jarls zu Möre im Westen Norwegens ward er geboren, jedoch gewillt, es weiter zu bringen als dieser, und er hat es geschafft: Alles Land nördlich der Epte ist letztlich in seiner Gewalt.«
    Runa wusste nicht, was die Epte war, und noch weniger, warum so viel Bewunderung in der Stimme ihres Vaters lag. Dieses Nordmännerland, von dem er als ihre Zukunft sprach, war, so sie ihn recht verstanden hatte, doch nichts weiter als ein kleines Land inmitten eines größeren.
    Ohne auf seine Worte zu antworten, trat Runa zur Großmutter, die ihre Fäuste wieder hatte sinken lassen und sich nun an ihre Hand klammerte. Nie hatte Asrun sie so festgehalten - und Runa ahnte, dass es weniger ein Zeichen von Stärke war als von Ohnmacht. Den Rücken hielt sie dennoch stolz gestrafft, und Runa tat es ihr gleich.
    »Ich bleibe hier!«, wiederholte sie.
    Runolfr starrte die beiden Frauen jetzt erbost an. Er deutete auf das Ledersäckchen, das an seinem breiten Gürtel hing.
    »Seht ihr nicht, wie reich ich geworden bin? Ich habe jahrelang für Rollo Waffen gestohlen und sie ihm und seinen Kriegern verkauft! Nun braucht er Männer, tüchtige Männer, die das Nordmännerland besiedeln und beackern.«
    Er hob die rechte Hand, um die goldenen Armreife zu zeigen, die sein Handgelenk schmückten.
    Die Großmutter ließ Runa los. »Und kann man einen davon essen?«, fragte sie.
    Runolfr runzelte die Stirn. »Du dummes altes Weib!«, brüllte er wütend und ballte seinerseits die Hand zur Faust.
    Großmutter!, wollte Runa schreien, doch die Silben blieben ihr im Hals stecken. Sie wollte sich dazwischenwerfen, als ihr Vater auf Asrun losging, aber ehe sie einen Schritt machen konnte, sauste seine Faust auf das alte Gesicht nieder. Asrun versuchte nicht, Runolfr auszuweichen, erzitterte nicht, reckte ihm nur herausfordernd den Kopf entgegen. Sie hatte Runa ihre Furcht spüren lassen, als sie ihre Hand umklammerte - Runolfr zeigte sie diese Furcht nicht.
    Die Faust war so schwer und der alte, zähe Körper so leicht. Als sie getroffen war, fiel Asrun nicht nur, sie wurde durch das Langhaus geschleudert, prallte mit dem Kopf gegen die Wand und ging polternd zu Boden.

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