Tochter des Ratsherrn
werden.
Nachdem die Stadt vor sechs Jahren den Flammen zum Opfer gefallen war, war ein Streit zwischen Hamburg und dem Grafenhaus entbrannt. Um den aufsässigen Städtern einen Schlag zu versetzen, verboten die Grafen ihrem Vogt damals, das dringend benötigte Holz zum Wiederaufbau der Stadt zu liefern. In dieser Zeit hatten Albert und Thiderich eine rettende Idee: Sie schlugen dem verarmten Grafen Gerhard I. einen Handel vor, den er nicht ausschlagen konnte. Wenn er Albert und Thiderich das Recht gewährte, Holz aus Friesland einzuführen, dann sollte der Graf für jede Ladung Wagenschrott die Hälfte des erzielten Wertes erhalten. Zu Anfang wurden Albert und Thiderich für verrückt erklärt, doch die Idee zahlte sich schließlich aus. Der Graf ließ die beiden Freunde gewähren und verhalf Albert, Thiderich und Walther somit zu erheblichem Reichtum.
So gerne der Rat jeden Handel mit dem Grafenhaus in dieser Zeit auch verboten hätte, er konnte es nicht. Die Bürger der Stadt brauchten das Holz zum Aufbau ihrer Häuser, und schlussendlich war es ihnen lieber, dass einer der ihren das Holz brachte und nicht der verhasste gräfliche Vogt.
Mit dem Tod Gerhards I. drohte dieser wohldurchdachte Handel in Gefahr zu geraten und Thiderich, Walther und Albert gleich mit dazu. Die Tatsache, dass sie bei möglichen Streitigkeiten zwischen den Grafen nur einem unter ihnen würden dienen können, machte sie wie von selbst zu den Feinden der anderen. Dieses Schicksal galt es abzuwenden – doch solange die Nachfolge des Verstorbenen nicht geregelt war, konnten die Freunde nur abwarten.
2
Der Schnee unter den Hufen der Pferde knirschte mindestens genauso laut wie die ledernen Geschirre. Es war so kalt, dass den Männern die Bärte einfroren – trotzdem genoss Godeke den Ritt. Er trug gute Stiefel und einen warmen Mantel, der den Großteil der Kälte von ihm fernhielt.
Die Geschäfte in Friesland waren zufriedenstellend verlaufen, und das stimmte ihn heiter, doch galten seine Gedanken nicht dem väterlichen Holzhandel, in dem er seit Jahren tätig war. Vielmehr beschäftigte ihn der Gefallen, den er seiner Schwester getan hatte, indem er kürzlich einen ganz bestimmten Ort aufgesucht hatte. Noch war er sich nicht sicher, ob sein Handeln richtig gewesen war. Bis Hamburg würde er darüber nachdenken und dann entscheiden, ob er ihr von den erschreckenden Neuigkeiten berichten sollte oder nicht – doch Hamburg lag nur mehr eine Tagesreise entfernt.
Die Kaufleute, denen er sich vor drei Tagen angeschlossen hatte, redeten nicht viel, was ihm durchaus recht war. Alles, was Godeke von den elf Männern wusste, war, dass sich ein Teil von ihnen auf dem Weg nach Lübeck und der andere Teil auf dem Weg nach Hamburg befand. Sie hatten sich erst kurz vor seinem Dazustoßen zusammengefunden und ihn gerne in die Gruppe aufgenommen. Je mehr Männer sich zusammenschlossen, umso sicherer war die Reise auf den Handelswegen.
Obwohl der Wald dicht bewachsen war, lag überall eine dicke Schicht Schnee zwischen den Bäumen. Die Zweige der immergrünen Tannen hingen so tief, dass Godeke manches Mal den Kopf einziehen musste, um nicht dagegenzustoßen und eine volle Ladung Schnee abzubekommen.
Der Reiter vor ihm stellte sich in dieser Hinsicht weniger geschickt an. Irgendwie schaffte er es immer, die schneebedeckten Äste gerade noch zu streifen, sodass die weiße Pracht genau auf den dahinter reitenden Godeke hinabrieselte. Als dies zum wiederholten Male geschah, wurde Godeke wütend. Kurz erwog er, den fremden Kaufmann barsch anzufahren, doch so kurz vor Ende seiner Reise wollte er keinen Ärger mehr. Deshalb gab er seinem Pferd die Sporen und trabte bei der nächsten Gelegenheit einfach an seinem unachtsamen Reisegefährten vorbei.
Nachdem er eine Zeit lang an der Spitze der Gruppe geritten war, vernahm er plötzlich ein dumpfes Geräusch. Godeke sah seinen Nebenmann an, doch der saß unverändert auf seinem Pferd, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, und hauchte sich immer wieder in die hohlen Hände, um diese zu wärmen. Niemand sonst schien etwas bemerkt zu haben, doch er selbst blieb stutzig.
»Habt Ihr nichts gehört?«, sprach er den neben ihm Reitenden an.
»Was soll ich denn gehört haben?«, fragte der Kaufmann verwundert zurück und rieb sich weiter die schmerzenden Finger.
»Hmm, vielleicht täusche ich mich auch …«, räumte Godeke ein, doch er drehte sich trotzdem noch einmal zu den anderen Reitern um.
Sein Nebenmann
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