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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Augen eines Halbwüchsigen, dem allmählich klar wurde, dass schon andere vor ihm Zähneknirschen, Wut und Frust erlebt und trotzdem irgendwas Großartiges zustande gebracht hatten. Dabei beschränkte ich den Erkenntnisbegriff von vornherein auf den Bereich der seelischen Innerlichkeit, auch wenn Mutter wenig Sinn für neurologische Störungen bei Teenagern
hatte und mir bei Gelegenheit gerne lustvoll eine geklebt hätte. Sie nahm sich zusammen. Man war antiautoritär.
    Egal. Das Unbewusste ist nicht nur Abfallkübel für verdrängte Probleme, sondern bietet auch wertvollen Energien Platz. Die Kirchen und Museen, die wir besichtigten, waren Räume für alle guten und vielfältigen menschlichen Möglichkeiten. So schien es mir zumindest. Und danach wusste ich, was ich studieren wollte. Heute bin ich Dozent, und bisher gab es noch immer, trotz privater und allgemeiner Katastrophen, ein Future . So leicht geht die Welt nicht unter.
    Â 
    Allerdings gab es Nachwirkungen. Ich kam in meine Wohnung, und niemand war da. Tanja hatte ihre Koffer gepackt, die Katze Mafalda mit einer Scheibe Salami in ihren Korb gelockt, den Deckel drauf, und ab und davon. Ein paar Abende saß ich auf dem Sofa (weiß, niedrig und aus Büffelleder), starrte in die Glotze und blies Trübsal. Schuld? Wer hatte eigentlich Schuld? Tanja natürlich, Mafalda auch, diese dreimal verwünschte treulose Katze, und ich selbst, Rainer, nicht minder. Ach ja, ach ja! Und so weiter, stundenlang. Ich spürte allmählich, wie ich zum Griesgram verkam, zum ekelerregenden Jammerlappen. Als mir das klar wurde, rief ich Mutter an. An diesem Abend erschien mir das als die einzige Alternative.
    Â»Wo bist du?«, fragte ich.
    Â»Ich sitze auf meinem Stuhl, vor dem Bildschirm.«
    Neuerdings verdiente sie etwas Geld, indem sie mit dem Computer Muster für eine Stofffabrik entwarf: Vorhänge und Bettwäsche. Sie war schon in Rente, aber es machte ihr Spaß; ihre schönen, leuchtenden Farben zeigten das Vitale, das in ihr war. Kürzlich sagte mein Freund Christian von ihr: »Herrgott, deine Mutter mag Männer! Ich habe immer das Gefühl, dass sie mich anmacht.«

    Ich fand das schmeichelhaft. Mutter war längst über siebzig, hatte aber immer noch dieses gewisse Funkeln in den Augen. Das erlischt nie.
    Â»Kann ich dich besuchen?«
    Â»Heute Abend noch?«
    Â»Wenn ich dir nicht zur Last falle.«
    Â»Du fällst mir ständig zur Last. Aber das ist wohl mein Los auf Erden. Hast du schon gegessen?«
    Ich hatte nicht.
    Â»Soll ich dir ›Himmel und Erde‹ machen?«, fragte sie.
    Das altbewährte »Himmel und Erde« aus der Zeit, in der die Leute noch eine Kartoffelkiste im Keller hatten, war besser als Valium, auf alle Fälle. Ich hätte vor Rührung fast geheult.
    Â»Ja, gerne, wenn du Zeit hast.«
    Â»Mein Design wird nicht fertig werden. Aber ich muss wohl in meinem Herzen noch ein Krümelchen Mitleid für dich aufbewahren.«
    Ich fuhr den Wagen aus der Garage. Ich hatte jetzt viel Platz, weil Tanjas Wagen nicht mehr dastand. Ein paar Ölflecken waren alles, was noch da war. Und ein Frostschutzmittel für die Scheibenwaschanlage. Heute Abend goss es in Strömen, das Sauwetter war ganz meiner Stimmung angepasst. Aber sobald ich Mutters erleuchtete Erkerfenster sah, fühlte ich mich schon wohler. Ach ja, ach ja.
    Das Haus meiner Eltern stand im Nobelviertel Harvestehude. Sie hatten es vor vierzig Jahren erworben, lange bevor die Immobilienpreise senkrecht in Richtung Stratosphäre zu steigen begannen. Ein kleiner Garten gehörte dazu. Mutter pflanzte Biogemüse, Himbeeren und Stachelbeeren an; sie kochte Holundermarmelade, und ihr Apfelkompott schmeckte himmlisch.
    Â»Ich habe auch rote Grütze da«, sagte Mutter, während
ich meinen nassen Parka in der Diele auszog. »Magst du die noch?«
    Ich schnappte fast nach Luft.
    Â»Selbst gemacht? Wie früher?«
    Sie sah mich ungehalten an.
    Â»Ich mache nur ganz natürliche rote Grütze. Ohne E-320 und das ganze Pharmazeug. Ich lebe gesundheitsbewusst. Das solltest du auch.«
    Â»Und wo ist der Schnuller?«, stöhnte ich.
    Â»In der Drogerie, gleich um die Ecke. Sie schließen erst um acht.«
    Sie ging in die Küche, wo es nach Kartoffelkrapfen duftete. Sie lagen schon bereit, auf einem weißem Küchenpapier, das Fett aufsaugte. Das Wasser lief mir im Mund

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