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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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so weiter, konnte nicht so weitergehen. Mir stand noch eine Woche Urlaub zu. Ich hielt mich an meine beruflichen Verpflichtungen, zog meine Kurse durch, bis der Freitag kam. Ich fand meine Studenten samt und sonders doof. Zwar waren alle ganz Ohr und Auge, machten sich emsig Notizen, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie sich ebenso wenig für die Darstellung des Welteneis und den Samen der Menschheitsgeschichte in den Bildern von Giotto di Bondone (1267–1337) interessierten wie ich. Abgesehen davon war diese Generation von Studenten, deren Geburtsdaten in den Neunzigerjahren lagen, zu selbstsicher für meinen Geschmack, zu cool, zu vernetzt, zu alles. Während ich mit Anfang zwanzig je nach Beleuchtung entweder wie zehn oder wie vierzig ausgesehen hatte, zeigten diese jungen Leute kaum einen Ausdruck auf den faltenlosen Gesichtern. Blickte ich in ihre arglosen Augen, sah ich mich im Geiste vor einem Teich stehen, Brot im Wasser zerkrümelnd, ein angesammeltes Fischknäuel mir zu Füßen. Mit dem Unterschied, dass die Fische zappelten und die Studenten brav in einer Reihe saßen. Eigentlich hätte es mir Genugtuung bereiten sollen, dass ich Jüngere belehren und sie von meiner Weisheit profitieren lassen konnte. Stattdessen verglich ich sie mit Forellen, was unfair war, befanden sich doch unter ihnen einige gescheite Köpfe. Gescheiter als ich allemal, der pausenlos damit beschäftigt war, mit dem eigenen
Ich zurechtzukommen. So wie ich veranlagt war, musste ich für Tanja wohl ein Mann gewesen sein, den sie leichter zum Narren halten konnte als andere. Aber wer war ich eigentlich? Ich erlebte einen Moment, in dem diese Frage plötzlich da war, die nach dem eigenen Ich, nach dem eigenen Wesen, nach dem, was mich unverwechselbar machte. Oder auch nicht, dachte ich grimmig. Auf die Dauer ist wahrscheinlich jeder Mann wie der andere.
    Ich hatte eine Reise nach Prag gebucht, rein zufällig, wie man im Kiosk eine Zeitung kauft und ein Los gleich dazu, mit dem stets enttäuschten Hintergedanken, dass man eventuell doch in acht Tagen Millionär sein könnte. Wobei der Neider in mir sich schon lange fragte, wieso es mehrheitlich portugiesische Bauarbeiter waren, die beim Fußball-Toto gewannen und danach nicht wussten, wie sie das viele Geld ausgeben konnten! Aber ich schweife ab, was womöglich an meiner Erbmasse liegt.
    Um ehrlich zu sein  – ich wollte einfach nur weg von Hamburg. Wenn ich nichts unternehme, dachte ich, krepiere ich. Davon war ich überzeugt, ebenso wie ich davon überzeugt war, dass es mir morgen nicht besser gehen würde, sondern eher schlechter.
    Inzwischen hatte ich zu Hause ein bisschen aufgeräumt. Alte Fotos und Briefe waren mir in die Hände gefallen. Postkarten und Liebesbriefe auch. Ach ja, ach ja! Gerade dann, wenn wir in der Tinte sitzen, beschäftigt uns die bange Frage, ob wir noch fähig sind, unsere eigene Geschichte zu schreiben. Oder ob es womöglich gesünder wäre, sich einfach treiben zu lassen. Immerhin verstand ich, woher Amalias leicht geringschätziger Ton kam, wenn von Tanja die Rede war. Tanja  – dieses ach so reizvolle Wesen  – war für sie nur ein Fliegengewicht. Amalias Eltern Irmela und Günther stammten aus Schlesien. Großgrundbesitzer, wohlhabend. Amalia
und ihr Bruder Manfred wuchsen mit Kindermädchen und Hauslehrer auf, bis die Familie vor den anrückenden Russen fliehen musste. Manfred, kaum neunzehnjährig, starb in den Ardennen. Nicht unter feindlichem Gewehrfeuer, wohlgemerkt, sondern weil er, extrem kurzsichtig, in einen Graben stolperte und sich das Genick brach. Mein Großvater Günther verbrachte als Kriegsgefangener drei Jahre in einem Lager in der ägyptischen Wüste. Die Familie war enteignet worden, ihr Haus diente russischen Offizieren als Hauptquartier und wurde später zerbombt. Irmela zog zu ihrer Schwester Sophie nach Bremen. Sophie, eine resolute Frau, unverheiratet, die vor dem Krieg ein Medizinstudium begonnen hatte, brachte sich und die Verwandtschaft durch, indem sie Zimmer an Studenten vermietete und als Sprechstundenhilfe bei einem Zahnarzt arbeitete. Irmela, die Jüngere und Hübschere, hatte bisher kaum einen Finger gerührt. Jetzt machte sie den ganzen Haushalt, kochte und bügelte, putzte sogar die Zimmer der Studenten. Dann kehrte Günther aus der Gefangenschaft zurück, auch für ihn musste

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