Tod am Nil
hindurchschimmerte. Sie trug keine Perücke mehr, fiel Huy auf, und seit ihrer letzten Begegnung hatte ihre Figur alle Eckigkeit verloren. Anmutig kam sie durch den Raum zu ihnen herüber, auch ihm galt ihr Lächeln, das aufrichtig freundlich und nicht nur höflich war. Konnte ein neues Glück eine so schnelle Verwandlung bewirken?
Sie nahm einem Leibdiener ein Bündel frische Girlanden ab und kam damit zu ihnen; sie legte erst dem Makler und seiner Frau, dann Merymose und schließlich Huy eine um den Hals.
»Ich bin froh, daß du dich entschieden hast, zu kommen«, sagte sie, und ihr Ton verriet ihm, daß sie nicht damit gerechnet hatte. »Ich habe oft an dich gedacht seit unserer letzten Begegnung.«
»Es freut mich, zu sehen, daß du dich so gut erholt hast.«
»Es war nicht leicht. Aset hat das Testament angefochten.«
»Was hatte Amotju denn verfügt?«
»Er hatte mir gar nichts hinterlassen. Die Hälfte seiner Schwester, die andere Hälfte seiner Geliebten. Da die mit ihm gestorben ist, wollte Aset alles haben.«
»Vielleicht hatte sie schlechte Berater.«
Taheb sah ihn verschmitzt an. »Du brauchst sie nicht zu verteidigen. Ich weiß, was sie dir bedeutet und wie sie dich behandelt hat.«
Huy spreizte die Hände und merkte, daß er lächelte. »Jeder sorgt für sich, so gut er kann.«
»Das stimmt«, sagte Taheb, ohne den Blick von ihm zu wenden.
Die Frau des Maklers war grau im Gesicht. Sie hielt ein Serviermädchen am Handgelenk fest. »Bring mir die Kupferschale«, befahl sie zittrig.
Ein Gang folgte dem anderen. Gespart werden mußte in Tahebs Haus offenkundig nicht: Weder Fisch noch Ente oder Schweinefleisch wurden aufgetischt, dafür aber Unmengen von Rindfleisch, Gänsebraten, Hammel und Reiher, die mit Weinen aus Kharga und Dakhla heruntergespült wurden. Huy, der die Fleischrationen der Armen gewohnt war, aß und trank nur wenig, und er sah, daß Merymose und Taheb es genauso hielten. Der Kornmakler aber wurde im Laufe des Abends immer überschwenglicher, während seine Frau sich immer bleicher und stiller zeigte. Die Akrobaten hatten sich zum Bleiben überreden lassen, und als die Tische abgeräumt waren, kamen sie herein und gaben ihre Vorstellung, aber inzwischen achtete kaum noch jemand auf sie.
Huy sah, wie die Sterne am weiten Himmel über den rot-goldenen Säulen der Halle blasser wurden und der Himmel allmählich seine Schwärze verlor und sich durch alle Schattierungen von Grau, Gelb und Lila färbte. Das Morgengrauen ließ ihn frösteln. Taheb hatte sie verlassen, um noch einmal die Runde unter den anderen Gästen zu machen, und der Makler und seine Frau waren eingeschlafen.
»Willst du mit mir zusammen zurückgehen?« fragte Merymose ihn.
»Sicher.« Huy lächelte. Er hatte nicht die Absicht, um die Freundschaft eines Medjay zu werben, aber er wußte auch, was ein Verbündeter wert war. Er betrachtete Merymoses Gesicht und versuchte, den Charakter des Mannes einzuschätzen. Der Gesichtsausdruck des Hauptmanns blieb rätselhaft - zweifellos eine Berufsgewohnheit. Trotzdem beschloß Huy, ihm zu sagen, wer er war; hoffentlich hatte er es hier mit einem Mann zu tun, dem er - vielleicht -vertrauen konnte.
Sie waren gerade aufgestanden, als Tahebs Hausverwalter mit sorgenvoller Miene auf sie zukam; er brachte einen nicht minder besorgten jungen Mann mit, einen Medjay-Polizisten, der ein erleichtertes Gesicht machte, als er Merymose erblickte.
»Was gibt’s?« fragte der Polizeioffizier.
»Du wirst gebraucht. Ich soll dich holen. Ich habe Pferde draußen.«
Merymose zog die Brauen hoch. »Pferde? Was ist denn passiert?«
»Herr, vor all diesen Leuten kann ich es dir nicht berichten.«
Der Hauptmann wandte sich bedauernd an Huy. »Sag Taheb, daß ich gehen mußte. Tut mir leid wegen unseres Spaziergangs.«
»Ja.«
»Vielleicht haben wir ein andermal Gelegenheit. Ich würde gern mehr über dich erfahren.«
»Taheb weiß, wo ich zu finden bin.«
Merymose lächelte kurz, wandte sich dann unvermittelt um und ging, begleitet vom Verwalter und dem jungen Polizisten. Der Makler am Tisch schnarchte leise. Seine Frau schlummerte an seiner Schulter. Im Schlaf war die Anspannung aus ihrem Gesicht verschwunden, und sie sah viel jünger aus - die verkniffenen Mundwinkel hatten sich gelöst, und die Falten auf der Stirn und um die Augen waren geglättet. Etwas Kindliches, Verletzliches lag in ihrem Ausdruck, aber die Traurigkeit war noch da und rührte Huy in der kalten
Weitere Kostenlose Bücher