Tod am Nil
merkte er, daß die Leichenstarre schon eingesetzt hatte.
»Na?« fragte Merymose.
»Ich kann nichts sagen«, antwortete Huy. »Es ist keine Spur von Gewalt zu entdecken, und ich habe nicht die geringste Vermutung, wie sie zu Tode gekommen ist.«
Merymose seufzte. »Das sagen die Ärzte auch.«
»Hast du mit Ipuky gesprochen?«
»Er und seine Frau haben sich im Haus eingeschlossen. Aber ich werde noch heute mit ihrem obersten Verwalter sprechen.«
»Was geschieht mit Iritnofret?«
»Da sie uns weiter nichts verraten kann, werde ich Anweisung geben, daß die Einbalsamierer sie abholen können.« Er schwieg unschlüssig. »Es sieht fast so aus, als habe hier ein Gott seine Hand im Spiel. Ob der Himmel sie niedergestreckt hat - was meinst du?«
»Nein.«
»Wenn sie nicht die Tochter einer so wichtigen Familie wäre... «
»Ja. Dann wäre alles viel leichter. Es tut mir leid, daß ich dir nicht helfen konnte. Vielleicht hat Taheb mein Talent überschätzt.«
»Wir werden uns noch einmal darüber unterhalten.«
»Du weißt ja, wo du mich findest. Wieviel Zeit werden sie dir geben?«
»Siebzig Tage. So lange dauert es, sie einzubalsamieren und zu den Feldern von Aarru zu bringen.«
Als Huy sich auf den Heimweg machte, fragte er sich, was Merymose tun würde, wenn er den Mörder in dieser kurzen Zeit nicht faßte. Ohne Zweifel würde irgend jemand für dieses Verbrechen sterben müssen, aber in seinen Augen war Merymose kein Mann, der sich jemand x-beliebigen herausgreifen würde, nur um einen Schuldigen zu präsentieren. Zumindest nicht, ehe die drei Monate vergangen waren und ihm selbst das Messer an den Hals gesetzt würde. Als Huy den weiten, schattigen Hof des Hauses des Heilens verließ, fühlte er sich plötzlich sehr müde.
Sein Weg führte ihn an der Stadt der Träume vorbei. Ihm fiel die Perücke ein, die er ja jetzt nicht mehr brauchte, und er stieß die Tür auf und betrat das Vorzimmer, das als Empfangsraum und Büro diente. Wer das Gebäude verlassen wollte, mußte hier vorbei, auch wenn die Mädchen vielleicht einen eigenen Geheimausgang hatten; Nubenehem bewachte diesen Vorraum wie ein Wüstendämon seine Höhle. Die mächtige Nubierin blickte von der Couch hoch, auf der sie breitbeinig hockte. Vor ihr stand ein niedriger Tisch, auf dem eine Anzahl Kalksteintäfelchen verstreut war. Die Täfelchen waren von oben bis unten mit Zahlen beschrieben.
»Meine Buchhaltung«, erklärte sie. »Die Bauern, die von außerhalb kommen, wollen immer mit soundsoviel emmer, soundsoviel Fellen, soundsoviel Hirse bezahlen. Ich sage ihnen, sie sollen mit Metall bezahlen, weil ich damit mehr anfangen kann, aber sie erwidern immer, daß es so schwer zu beschaffen sei. Am liebsten würde ich sie gar nicht mehr reinlassen. Aber ich kann es mir nicht leisten, auf Kunden zu verzichten.«
»Ich bezweifle, daß du pleite gehen würdest.«
Nubenehem grinste. »Vielleicht nicht. Trotzdem, es gibt Tage, da wünschte ich, ich hätte ein anderes Gewerbe gewählt. Wenn du es dir mit Kafy anders überlegt hast, dann hast du Pech -gerade hat ein Priester aus dem Khepri-Tempel sie für die ganze Nacht gebucht. Und wenn du deine Perücke abholen willst... «
»Deshalb bin ich hier. Ich brauche sie nicht mehr.«
»Weggelaufen, was?«
Huy sah sie an.
»Egal«, sagte Nubenehem ungerührt. »Bestellt ist bestellt. Und wenn ein Auftrag ausgeführt ist, muß auch bezahlt werden - falls du willst, daß ich dir in Zukunft weiter gefällig bin.« Sie stand schwerfällig auf; Fettwülste schwabbelten auf ihren Hüften, als sie zu einem großen Wandschrank ging. Sie zog ein kompliziertes Riegelsystem auf, öffnete die Schranktür und nahm eine betagte, mottenzerfressene Perücke heraus, die sie stolz vor Huy schwenkte.
»Da!«
»Oh, die ist ja... Sie läuft bestimmt von alleine weg, wenn du sie auf den Boden legst.«
Nubenehems Augen wurden schmal. »Es sollte schnell gehen. Das hier ist kein Perückenladen, weißt du.«
»Ich brauche sie nicht mehr.«
»Du nimmst sie, oder ich erzähle dem nächsten Medjay, der kommt, daß du sie haben wolltest.«
»Du solltest dich schämen, einen guten Kunden so zu behandeln.«
»So ein guter Kunde warst du in letzter Zeit nicht«, versetzte Nubenehem und ließ sich wieder auf ihre Couch fallen, die bedrohlich ächzte. »Was ist passiert? Hat Min dich verlassen?«
»Nein, das ist es nicht.«
Ihr Gespräch wurde von einem vertrauten Geräusch unterbrochen: Hinter einem Perlenvorhang, der
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