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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
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Maßstäbe, die für ihn die Stützpfeiler einer anständigen Gesellschaft waren, durchzusetzen verstanden hatte: Sexuelles Verantwortungsbewußtsein und sogar Monogamie galten ihm als Wurzel einer stabilen Familie; sexuelle Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer solchen Familie waren nur zwischen Cousins und Cousinen erlaubt. Konkubinen waren nicht gern gesehen.
    In Sureres Provinz hatte es viele Verstöße dagegen gegeben, trotz des Privilegienverlustes, der einzigen Strafe, die er darauf auszusetzen wagte. Man munkelte jedoch, daß er in manchen Fällen lieber die Todesstrafe verhängt hätte.
    Nicht einmal der König, der selbst nach diesen Vorschriften lebte, hatte dies auch von seinen Untertanen verlangt, und seiner eigenen Königin, die Surere so tief verehrt hatte, war der Wunsch gewährt worden, nicht in der neuen Stadt des Horizonts, sondern in der Nähe der alten Heimat, im Tal der Toten auf der anderen Seite des Flusses, der Südlichen Hauptstadt gegenüber, begraben zu werden.
    Nofretete war sehr jung gestorben. Mindestens fünf Fluten hatten das Schwarze Land befruchtet, seit sie auf dem Boot der Nacht davongesegelt war. Nachdem ihr Gemahl ihr nachgefolgt war, hatte man ihr Grab vernachlässigt, und schon wehte der Sand über den Eingang und begrub ihn unerbittlich unter einer roten Decke. Unter den Bürgern der Südlichen Hauptstadt hatte man geglaubt, daß der neue Pharao, dessen eigene Hauptfrau eine Tochter Nofretetes war, sich besser um die Totenhallen ihrer Mutter kümmern würde. Daß er eine so heilige Pflicht vernachlässigte, hatten einige, auch Angehörige der alten Priesterschaft, als Skandal empfunden, aber hinter Tutenchamuns Untätigkeit erkannte man die Politik Haremhebs, und es erhob sich kein öffentlicher Protest. Schließlich gehörten dem König das Land und das Volk, jedes Tier und alles, was wuchs. Sein Wort und sein Handeln durfte man nicht in Frage stellen; diese Möglichkeit kam den meisten erst gar nicht in den Sinn.
    Huy fragte sich, wie Surere wohl auf die Welt reagieren würde, in der er sich jetzt wiederfand. Er hatte die Südliche Hauptstadt seit mindestens acht Jahren nicht mehr gesehen, vielleicht schon länger nicht. Denn seit der Hof flußabwärts in die neue Stadt des Horizonts verlegt worden war, hatte er die Südliche Hauptstadt kaum noch betreten. Geographisch hatte sich in dieser Zeit wenig geändert; nur mehr und mehr Häuser hatten sich auf dem Schuttberg zusammengedrängt, der sich im Lauf von Generationen angesammelt und die Anhöhe gebildet hatte, auf der die Stadt nun thronte, oberhalb des höchsten Flutwasserpegels, den der Fluß erreichen konnte.
    Der Mann hatte in seiner politischen Laufbahn überlebt, weil er Anpassungsfähigkeit mit Diskretion vereint hatte. Aber seine Anpassungsfähigkeit erstreckte sich nicht auf seine Grundsätze, sondern beschränkte sich auf seinen Selbsterhaltungstrieb. Ein amoralischer Mann, der anderen eine starre Moral aufzwingt, hätte gewiß nicht auf den Erfolg hoffen können, den Surere gehabt hatte. Aber wie er jetzt zurechtkommen mochte, wo so vieles gegen ihn stand, in einer Welt, die so anders war als die, in der er geherrscht hatte, das fragte sich Huy dennoch. Unversehens hoffte er, es möge dem Mann gelingen, seinen wahnsinnigen Plan in die Tat umzusetzen und mit seiner Schar von Anhängern - falls es sie wirklich gab -, die dem Aton treugeblieben waren, in die Wüste zu ziehen, die sich im Osten des Großen Grünen erstrecken sollte, und dort einen Vorposten der neuen Religion zu gründen.
    Was Huy selbst betraf, so hatte er ein realistischeres Leben geführt. Er erinnerte sich, wie erleichtert er gewesen war, als er zum erstenmal von den Lehren Echnatons gehört hatte, die die hinfällige Staffage des alten Glaubens, der bis ins Innerste zersetzt war von den zynischen Spekulationen der Priester, abgelöst hatten. Jetzt aber, da er wieder in einer Welt leben mußte, wo Ideale etwas für Intellektuelle und Priester waren, die über sie diskutierten, aber nie in die Wirklichkeit umzusetzen versuchten, weil das Haremheb bei seinem Reformprogramm in die Quere gekommen wäre, merkte er, daß seine Gefühle abgestumpft waren. Zwar war er außerstande, zu dem Aberglauben zurückzukehren, den er einmal verworfen hatte, aber in Zeiten größter Not sah er sich doch insgeheim zu den drei Gottheiten zurückkehren, die sein früheres Leben während seiner harten Lehrzeit als Schreiber bestimmt hatten: zu dem vernünftigen

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