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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
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Trotz seines Schrecks gelang es Huy, seinen Schritt nicht stocken zu lassen; er ging einfach weiter, weder langsamer noch schneller. Er mußte sich fassen, aber viel Zeit blieb ihm nicht - nur noch dreißig Schritte trennten ihn von den Polizisten. Mehrere Passanten warfen neugierige Blicke auf die Wartenden. Huy war sicher, daß niemand Surere in seinem Haus gesehen oder gehört hatte. Aber Surere hatte in tiefem Schlaf gelegen, als Huy vor wenigen Stunden das Haus verlassen hatte, und wenn die Medjays jetzt hineingingen, wären sie beide verloren.
    Merymose begrüßte ihn knapp, aber nicht unfreundlich. Weder Tonfall noch Miene wirkten aggressiv, und das war ein kleiner Trost: Der Hauptmann hatte also keinen Hinweis bekommen. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, seit sie sich voneinander verabschiedet hatten - dabei war es erst heute im Morgengrauen gewesen. Der Medjay sah so müde aus, wie Huy sich fühlte.
    »Ich hatte nicht erwartet, dich so bald wiederzusehen.«
    »Ich auch nicht.« Merymoses Ton war streng, aber das lag wahrscheinlich an der amtlichen Natur seines Besuchs, dachte Huy. Trotzdem fragte er sich, warum er gleich mit einer Eskorte gekommen war und wann er ihnen die Tür würde öffnen müssen.
    »Du warst gestern abend nicht offen zu mir, was deinen Hintergrund angeht«, fuhr Merymose fort.
    »Ich wußte nicht, daß du dich dafür interessierst«, sagte Huy.
    »Es hätte peinlich für mich werden können, mit einem ehemaligen Beamten des Großen Verbrechers gesehen zu werden«, sagte Merymose. »Taheb hätte mich warnen sollen.«
    »Sie dachte sicher, wir hätten einiges, worüber wir uns unterhalten können, und deshalb hat sie uns zusammengesetzt«, sagte Huy. »Was mich angeht, so habe ich nicht gegen das Edikt verstoßen, das mir verbietet, als Schreiber zu arbeiten. Wenn du meine Akte gelesen hast, wirst du ja wissen, daß die Medjays ein Auge auf mich haben und daß ich letzten Endes nur ein sehr kleiner Splitter im Hintern des Staates bin. Ich bezweifle, daß er mich überhaupt spürt.«
    Distanziert lauschte er dem Klang seiner Stimme und den spaßigen Worten, die da hervorkamen.
    »Wollen wir hoffen, daß du wirklich nicht mehr bist«, sagte Merymose. »Diese Männer werden dein Haus durchsuchen. Es ist eine Routinesache. Die Häuser aller alten Bediensteten des Großen Verbrechers werden nach dem entsprungenen Steinbruchhäftling durchsucht. Aber ich bin sicher, selbst wenn du ihm geholfen hast, warst du so schlau, alle Spuren zu verwischen. Männer, tut eure Arbeit!« Er deutete knapp auf die Tür, wobei der Bronzearmreif, Symbol seines Amtes, matt an seinem Handgelenk glänzte. Huy merkte plötzlich, wie seine Wirbelsäule starr wurde; erst jetzt, da er sie zu verlieren drohte, wurde ihm bewußt, welch kostbares Gut die Freiheit ist. Benommen öffnete er den Männern die Tür und trat beiseite. Die Sonne, die auf seinem Gesicht brannte, schien ihm schon unwirklich zu sein. Unbeteiligt, als sei das Ganze nur ein Schauspiel, sah er zu, wie die drei Polizisten nacheinander in sein Haus gingen, und er überlegte, ob er ihnen, wie es üblich war, Brot und Bier anbieten sollte. Aber es waren ja keine Gäste, sondern hochoffizielle Beamte, die in wenigen Augenblicken seinen Untergang beschließen würden. Plötzlich überkam ihn ein tiefes Bedauern darüber, daß er Taheb nun doch nicht besser kennenlernen würde.
    Seine eigene Dummheit hatte alles zerstört. Hätte er Surere doch einfach seinem Schicksal überlassen! Oder ihn angezeigt! Als Dank hätte man ihn vielleicht sogar wieder zum Schreiber gemacht. Vielleicht...
    So standen er und Merymose nebeneinander auf der Straße. Huy betrachtete das vertraute Bild; aber ihm war, als hätten die Götter plötzlich einen unsichtbaren Schild zwischen ihn und die ihn umgebende Szenerie gestellt. Eine halbe Stunde zuvor hatte er hierher gehört, hatte seinen Platz gehabt und niemandes Mißtrauen erregt. Er sehnte sich nach seiner Ruhe zurück, seinen bescheidenen Problemen, mit der Einsamkeit fertig zu werden, Arbeit zu finden. Wie oft hatte er sein karges Leben verflucht -jetzt erschien es ihm wie das Paradies. Die magere Katze strich vorbei; er sah sie an und konnte nicht glauben, daß es dasselbe Tier sein sollte, das er erst wenige Minuten zuvor gesehen hatte. Aber in Wahrheit war er es ja, der nicht mehr derselbe war. Wie konnte ihm innerhalb weniger Sekunden eine solche Katastrophe zustoßen, ohne daß seine äußere Umgebung sich im

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